Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE, kommentiert wöchentlich was die Märkte bewegt. In seinem aktuellen CIO View blickt er auf den Kapitalmarkt in den USA:
„Am Montag, 20. Januar 2025, wird in Washington die Amtsübergabe von Joe Biden auf Donald Trump stattfinden. Der neue Präsident tritt sein Amt vor dem Hintergrund steigender Renditen an den Anleihemärkten an. Vor einem Jahr, im Januar 2024, wiesen zehnjährige Staatsanleihen der USA eine laufende Verzinsung knapp unter 4,0 Prozent auf. Seitdem ist sie auf aktuell 4,8 Prozent hochgegangen.
Dieser Renditeanstieg hat mehrere Ursachen: Zum einen sind die jüngsten Konjunkturdaten in den USA stark ausgefallen. Am amerikanischen Arbeitsmarkt ist die Zahl neu geschaffener Stellen im Dezember 2024 auf 256.000 gestiegen und lag damit weit über den Erwartungen. Volkswirte hatten mit einem Wachstum um 160.000 Stellen gerechnet. Die Arbeitslosenquote stellte sich kaum verändert bei 4,1 Prozent ein. Zum andern schätzen die Marktteilnehmer die Aussichten auf weitere Zinssenkungen zunehmend vorsichtig ein. …
Der renommierte Marktbeobachter Mohamed El-Erian bezeichnete die jüngste Rücknahme der amerikanischen Leitzinsen am 18. Dezember 2024 als einen „hawkish cut“, als eine Zinssenkung, die gleichwohl eine restriktivere Geldpolitik ankündigt….
Selbst eine völlige Kehrtwende bis hin zu einer Zinserhöhung will El-Erian nicht ganz ausschließen.
Nun sind die Erwartungen der amerikanischen Geldpolitiker erfahrungsgemäß kaum mehr als eine Momentaufnahme. Erwartungen an die Zukunft sind in erster Linie Botschaften für die Gegenwart. …
Unserer Einschätzung nach wird die Fed vorerst nicht zu einer restriktiveren Geldpolitik zurückkehren. Gleichwohl spricht vieles dafür, dass die amerikanischen Notenbanker den aktuellen Zinssenkungszyklus als weitgehend abgeschlossen betrachten. Der zentrale Leitzins, die Fed Funds Rate, bewegt sich seit der jüngsten Rücknahme Mitte Dezember 2024 in einem Korridor von 4,25 bis 4,5 Prozent, nachdem sie Mitte 2023 noch um einen Prozentpunkt höher lag.
Laut ihrer aktuellen Prognose erwartet die Fed, dass die Inflation in den USA am Jahresende 2025 bei etwa 2,5 Prozent liegen wird. Für den Dezember 2024 wurde am Mittwoch dieser Woche ein Anstieg des Verbraucherpreisindex CPI um 2,9 Prozent veröffentlicht. Damit ist die Inflationsrate gegenüber dem November 2024 um 0,2 Prozentpunkte gestiegen. Die Fed schaut jedoch stärker auf den Preisindex für die privaten Konsumausgaben PCE, der in der Regel einige Zehntel Prozentpunkte niedriger liegt. An diesem orientiert sie auch ihr Ziel, mittelfristig eine Inflation von 2 Prozent anzustreben. Für den PCE-Index steht der Dezember-Wert noch aus. Im November 2024 lag der PCE-Index bei 2,4 Prozent und somit leicht unter der Inflationsprognose für 2025.
Aufgrund der Leitzinssenkungen und des Renditeanstiegs bei längeren Laufzeiten ist die Zinsstrukturkurve am amerikanischen Anleihemarkt im vergangenen Jahr steiler geworden. …
Einige Argumente sprechen dafür, dass die langfristigen Zinsen im laufenden Jahr weiter anziehen werden. Die expansive Finanzpolitik und die angekündigten Einfuhrzölle stellen ein Aufwärtsrisiko für die Preisentwicklung und damit für die Anleiherenditen dar. Darüber hinaus dürfte die US-Staatsverschuldung weiter steigen und somit Nachfrage nach weiterem Kapital auf den Anleihemärkten auslösen. Wir befürchten nicht, dass die langfristigen Zinsen in den USA scharf in die Höhe schießen. Doch Anleger sollten in ihre Überlegungen einbeziehen, dass sie am Jahresende über dem aktuellen Niveau liegen könnten.
Ein solcher Zinsanstieg droht zu einer Belastung für die Aktienmärkte zu werden. Zum einen werden damit Anleihen als Alternative zu Aktien noch attraktiver. Bei steigenden Zinsen wandert Anlagekapital typischerweise von den Aktien- zu den Anleihemärkten. Zum andern werden jene Unternehmen finanziell leiden, die Fremdkapital aufnehmen wollen – oder müssen. Das bestärkt uns darin, auf dem Aktienmarkt – in den USA wie auch anderswo auf der Welt – nach Unternehmen Ausschau zu halten, die aus unserer Sicht nicht nur ein überzeugendes Geschäftsmodell aufweisen, sondern dieses auch solide finanzieren. Eine übermäßige Verschuldung birgt für Unternehmen im neuen Jahr ein höheres Risiko.
Seit Beginn dieses Zinssenkungszyklus haben gerade amerikanische Aktien von fallenden Zinsen profitiert. Dieser Rückenwind wird unserer Überzeugung nach im laufenden Jahr 2025 ausbleiben. Damit hängt die weitere Kursentwicklung amerikanischer Aktien in besonderem Maße von der Gewinnentwicklung der Unternehmen ab. Vom Wirtschaftswachstum in den USA – die OECD erwartet in ihrem Wirtschaftsausblick vom Dezember 2024 für das Jahr 2025 eine Verlangsamung des US-Wachstums auf 2,4 Prozent – sind derzeit keine frischen Impulse zu erwarten. Allerdings werden laut FactSet die Gewinne der im Aktienindex S&P 500 gelisteten Unternehmen 2025 im Mittel um 14,6 Prozent steigen. Einige Unternehmen werden diesen Mittelwert übertreffen, zum Teil deutlich. Doch viele Unternehmen werden darunter bleiben. Das spricht dafür, auch auf dem amerikanischen Aktienmarkt selektiv zu investieren.
Im Aktienindex MSCI Welt, der die Kursentwicklung der größten Unternehmen der Welt nachzeichnet, kommen amerikanische Titel derzeit auf ein Gewicht von knapp 74 Prozent. Angesichts der Zinsrisiken, mit denen amerikanische Unternehmen konfrontiert sind, halten wir einen solchen Anteil in unseren Aktienportfolios für unverhältnismäßig hoch. Wir bleiben vorsichtiger und begrenzen in unserem Modellportfolio US-Aktien derzeit auf einen Anteil von 52 Prozent, während unsere Benchmark bei 35 Prozent liegt.“