Im Januar 2021 hat Onur Erzan die Stelle als Head of Global Client Group bei dem globalen Vermögensverwalter AllianceBernstein (AB) angetreten. 2022 kam das Private Wealth- sowie das Privatkundengeschäft zu seinem Verantwortungsbereich dazu. Im Gespräch mit INTELLIGENT INVESTORS spricht Onur Erzan darüber, warum er den deutschen Markt besonders schätzt, wie künstliche Intelligenz den Fondsvertrieb in Zukunft verändern könnte und was für ihn eine gute Vertriebsstrategie ausmacht.
INTELLIGENT INVESTORS: Herr Erzan, Sie leiten bei AB sowohl die Global Client Group als auch den Bereich Private Wealth. Bedeutet, Sie sind am Puls der Zeit. Wie nehmen Sie die aktuelle Situation bei Ihren Kunden wahr?
Onur Erzan: Die Leitzinsen haben mittlerweile in vielen Teilen der Welt wieder ein hohes Niveau erreicht. In der Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre waren viele Anleger unterdurchschnittlich in festverzinsliche Anlagen investiert. Das ändert sich nun. AB ist traditionell stark, wenn es um festverzinsliche Wertpapiere geht, aber wir bieten unseren Kunden eine breite Palette an Lösungen, um ihrem Risikoprofilen zu entsprechen. Auf der strukturellen Seite bemerken wir, dass Privat Credit verstärkt als eigenständige Anlageklasse wahrgenommen und gefordert wird. Daher haben wir unser Angebot in diesem Bereich ausgebaut. Diese Produkte sind eine gute Ergänzung fürs Portfolio und können in bestimmten Fällen sogar festverzinsliche Wertpapiere ersetzen. Die USA sind hier sicher etwas weiter, aber auch in Europa und Asien ist Interesse erkennbar. Ein weiteres Thema ist natürlich Künstliche Intelligenz: Die Technologie bietet immenses Disruptionspotenzial und Möglichkeiten für nahezu alle Branchen.
II: Inwiefern nutzen Sie diese Chancen bei AllianceBernstein?
Erzan: Bei AB haben wir KI ganzheitlich im Blick. Wir suchen nach lukrativen Investitionsmöglichkeiten, mit denen unsere Kunden von der KI-Revolution profitieren können. Gleichzeitig testen wir auch, wie wir die Technologie operativ einsetzen können. Menschen neigen ja oft dazu, kurzfristige Effekte zu überschätzen und langfristige zu unterschätzen. Insofern bin ich sicher, dass wir in den kommenden Jahren viele Anwendungen sehen werden, an die aktuell noch niemand denkt.
II: Sicherlich auch im Vertrieb. Welches Potenzial sehen Sie, etwa bei digitalen Vertriebskanälen?
Erzan: Ich glaube, dass vor allem im Bereich der vermögenderen Kunden die persönliche, menschliche Beratung weiterhin wichtig bliebt. Wenn Menschen sehr wichtige Entscheidungen für ihr Leben treffen, etwa in Bezug auf ihren Ruhestand, spielt Vertrauen eine elementare Rolle. Bei persönlichen finanziellen Entscheidungen geht es eben nicht nur um harte Fakten, sondern vor allem um den Menschen.
II: Wird also die Bedeutung digitaler Angebote überschätzt?
Erzan: Im Gegenteil: Persönliche Beratung wird immer öfter durch Technologie ergänzt und verbessert. Als „Digitale Konsumenten“ sind wir es gewohnt, nahezu alles immer verfügbar zu haben. Im Finanzbereich wollen Kunden neben einem Ansprechpartner auch die Möglichkeit, in Echtzeit auf ihre Portfolios zuzugreifen, online zu handeln und die Informationen in einer einfach konsumierbaren Form zu erhalten. Gerade die jüngere Generation ist es gewohnt, über Online-Kanäle zu agieren, auch diese wollen wir ansprechen. Daher ist auch unsere Costumer Experience bei AB in den vergangenen Jahren wesentlich digitaler geworden. Diesen Weg gehen wir weiter.
II: Wo sehen Sie die größten Wachstumsmärkte bei AB?
Erzan: Wir haben eine Reihe von Wachstumsprioritäten. Ein wichtiger Fokus im Bereich Alternatives ist sicher Privat Credit. Hier können wir auf einen starken Vertriebskanal im Privat-Wealth-Bereich zurückgreifen. Aber wir haben auch das Handwerkszeug, Lösungen etwa für Versicherungskunden, traditionelle institutionelle und Privatkunden zu entwickeln. Zudem wachsen wir in mehreren für uns wichtigen Beratungsmärkten in den USA – sowohl im Privatkundengeschäft als auch im Drittkundengeschäft – aber auch in einigen ausgewählten Märkten wie Deutschland, Italien, Taiwan und Japan sowie im Vereinigten Königreich.
II: Natürlich sind wir besonders an Ihrer Sicht auf den deutschen Markt interessiert. Hier gab es ja auch bei AllianceBernstein in den vergangenen Monaten einige Neuerungen …
Erzan: … Sie spielen auf den Wechsel von Thorsten Winkelmann zu AB an. Bei AllianceBernstein sind wir traditionell stolz auf unsere Equity-Plattform. Wir können auf eine sehr gute Erfolgsbilanz zurückblicken. Es ist spitze, dass wir einen Portfoliomanager wie Thorsten gewinnen konnten, um unsere Expertise weiter auszubauen. Mit einem starken Investitionsprozess und seiner Erfolgsbilanz ergänzen Thorsten und sein Team unser Produktportfolio im Bereich europäischer und globaler Wachstumsaktien ideal. Gleichzeitig ist es auch ein starkes Bekenntnis von AllianceBernstein zum europäischen und deutschen Markt.
II: Deutschland gilt gerade bei finanziellen Fragen als recht konservativ. Was macht den deutschen Markt für Sie interessant?
Erzan: Der deutsche Markt ist für mich phänomenal. Die Menschen haben eine langfristige Sparmentalität. Das macht die Region sehr attraktiv. Voraussetzung ist, dass wir Produkte bieten, die den richtigen Anlagehorizont der Anleger treffen. Gleichzeitig gibt es hier große, etablierte Institutionen. Sie haben natürlich auch recht, wenn Sie sagen, Deutschland ist ein relativ konservativer Markt, gerade was die Risikobereitschaft angeht. Das ist aber nicht unbedingt etwas Schlechtes. Und im Gegensatz dazu erleben wir immer wieder, dass sich in Deutschland und Europa sehr innovative Finanzdienstleistungen entwickeln – gerade auch im Retailbereich.
II: Was macht für Sie eine erfolgreiche Vertriebsstrategie aus?
Erzan: Für mich ist der Fokus auf den Kunden zentral und davon lebt auch unsere Vertriebsstrategie bei AB. Wir haben den Anspruch, das große Ganze in den Blick zu nehmen und Synergien zwischen unserem Private Wealth und unserem Retailgeschäft bestmöglich zu nutzen – von der Produktentwicklung bis hin zur Technologie, die wir für digitales Marketing nutzen. Wir kombinieren das Beste aus beiden Welten, um für unsere Kunden das bestmögliche Erlebnis zu schaffen. Dieses übergreifende Konzept leben wir auch: So haben wir etwa Rotationsmöglichkeiten geschaffen, um unseren Kollegen einen 360°-Blick auf die Branche zu bieten. Gleichzeitig sind wir uns natürlich bewusst, dass wir es mit unterschiedlichen Kundengruppen und Bedürfnissen zu tun haben – letztendlich folgen wir immer dem Kunden.