Obwohl der Markt für notleidende Kredite bzw. Non Performing Loans (NPLs) in Deutschland bereits lange Zeit existiert, gibt es keine allgemeingültige Definition, was ein NPL für alle Anwendungsbereiche, d.h. für zivilrechtliche und aufsichtsrechtlichen Bestimmungen, die steuerliche Behandlung und die Rechnungslegung, tatsächlich ist. Ein gemeinsamer Nenner für die Einstufung eines Kredits als NPL ist jedoch, dass der betreffende Kreditnehmer mit der Zahlung (eines Großteils) der fälligen Kapitalbeträge oder Zinsen für einen Zeitraum von mehr als 90 Tagen in Verzug ist.
Laut dem Risk Dashboard der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) wurde das Volumen der notleidenden Kredite (aus aufsichtsrechtlicher Sicht) in den Bilanzen deutscher Kreditinstitute im ersten Quartal 2024 auf 39,8 Mrd. EUR geschätzt, mit einem geschätzten Anstieg auf 40,2 Mrd. EUR bis Ende 2024 und 41 Mrd. EUR bis Ende 2025.
Warum NPLs zunehmen
Die deutsche Wirtschaft stagniert bzw. schrumpft leicht in diesem Jahr und die Bundesregierung erwartet, dass im Jahr 2024 das Bruttoinlandsprodukt etwa um 0,2 % zurückgehen wird, allerdings bis Ende 2025 auch nur mit einer Steigerung von nur 1,1 % zu rechnen ist. Zu den Faktoren, die die Finanzierungskosten der Unternehmen belasten, gehören die Folgen der letzten Pandemie, der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen auf die Energiepreise, steigende Löhne, eine instabile geopolitische Lage mit Unterbrechungen der Lieferketten, weniger Konsum und ein verändertes Verhalten der Marktteilnehmer. Dies führte zu einer geringeren Nachfrage nach Büroimmobilien und Einkaufszentren, zu einem allgemeinen Rückgang der Bewertungen von Gewerbeimmobilien und einem Anstieg der Gesamtinflation (auch wenn diese im Jahr 2024 auf circa 2,2 % verringern wird).
Infolgedessen erleben wir derzeit eine steigende Zahl von Insolvenzen, die etwa 20.500 – 23.000 im Jahr 2024 erreichen dürfte — insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen und im Industrie- und Immobiliensektor. Gleichzeitig stehen die Kreditgeber unter dem Druck der Regulierungsbehörden, NPL aus ihren Bilanzen zu entfernen, da sie aufgrund der Eigenkapitalanforderungen höhere Kosten tragen müssen. Der Eintritt in den NPL-Markt ist jedoch mit zahlreichen Herausforderungen verbunden, von denen eine beträchtliche Anzahl rechtlicher Natur ist.
Neue Anforderungen und deutsche Besonderheiten
Am 30. Dezember 2023 ist das Kreditzweitmarktförderungsgesetz in Kraft getreten, das sich auf den NPL-Markt für Kredite auswirkt, die von zugelassenen Kreditinstituten stammen. Mit dem Gesetz wurden Zulassungs- und Anzeigepflichten für NPL-Servicer (Kreditdienstleister), zusätzliche Informationspflichten sowohl für den Verkäufer als auch für den Käufer eines NPL sowie Meldepflichten gegenüber der BaFin und der Deutschen Bundesbank eingeführt. Im Falle von Verbraucherkrediten müssen NPL-Käufer zudem einen in Deutschland ansässigen Kreditdienstleister beauftragen. Während der Erwerb eines bereits ausgereichten Kredits sowie dessen Änderung und Umstrukturierung in der Regel keiner Banklizenz nach dem Kreditwesengesetz (KWG) bedarf, sind alle Maßnahmen eines neuen NPL-Kreditgebers, die eine „Kreditentscheidung“ erfordern, z. B. die Gewährung eines neuen Kredits, einschließlich der Übernahme von revolvierenden Verpflichtungen (z.B.: Betriebsmittellinie), oder eine Prolongation nach Ablauf der Laufzeit zu neuen Bedingungen — im Gegensatz zu einer bloßen Stillhaltevereinbarung — in Deutschland in der Regel von einer Banklizenz nach dem KWG abhängig.
Auch die Einschaltung von Dritten, wie z.B. Sicherheiten Agenten oder oder Zahlungsvermittlern, ist im Hinblick auf die Zulassungsvoraussetzungen nach dem Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (RDG) und dem Gesetz über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (ZAG) zu prüfen. Nach deutschem Recht kann die Gewährung eines Zahlungsaufschubs oder auch die Zuführung neuer Mittel an einen Schuldner – zum Beispiel an eine Zweckgesellschaft, die ein Projekt betreibt – der sich in einer finanziellen Notlage befindet, ohne ein geeignetes Sanierungskonzept aufgestellt zu haben, zu einer Haftung des Kreditgebers wegen Insolvenzverschleppung führen.
Fallstudie zum Thema „Loan-to-own“: ein potenzieller Auslöser für eine frühe Insolvenz
Investoren, die eine Loan-to-Own-Strategie verfolgen und hoffen, die Kontrolle über die Vermögenswerte/Projekte des Darlehensnehmers zu erlangen, indem sie das Pfandrecht an den Anteilen des Darlehensnehmers oder an der Holdingstruktur durchsetzen (relevant wenn die Rechtsform der beteiligten Gesellschaften sich nach deutschem Recht bestimmt), müssen sich auch darüber im Klaren sein, dass das deutsche Instrument der Anteilsverpfändung voraussetzt, dass der Kreditgeber das besicherte Darlehen sofort fällig stellt und somit möglicherweise den Schuldner (oder sogar seinen Anteilseigner) in die Insolvenz treibt, was die Durchsetzung des Pfandrechts des Kreditgebers stören wird. Anleger sollten sich auch darüber im Klaren sein, dass der Kreditgeber als neuer Anteilseigner nach einer erfolgreichen Übernahme der Anteile an dem insolventen Darlehensnehmer als neuer Gesellschafter nachrangig gegenüber den Forderungen aller anderen Gläubiger des NPL-Kreditnehmers ist — einschließlich aller Sicherheiten, über die er verfügt. Ein Konzept, das nicht in allen Rechtsordnungen üblich ist. Die Praxis hat für alle diese Fälle aber einige komplexe Gestaltungsstrategien entwickelt.
Wichtig ist außerdem, dass selbst ein voll besicherter Gläubiger im Falle der Insolvenz seines Kreditnehmers nicht das formale Vollstreckungsverfahren öfters initiieren darf, da der deutsche Insolvenzverwalter ein gesetzliches Recht auf die alleinige Verwertung einer Vielzahl von Vermögenswerten der insolventen Partei hat, die sogar mit Sicherheiten belastet sind. Dazu gehören z.B. Forderungen des Schuldners gegen Mieter, Rechte an Einrichtungsgegenständen und beweglichen Sachen wie Mobiliar, Beteiligungen an anderen Unternehmen. Aus dem Verwertungserlös entnimmt der Insolvenzverwalter vor der Verteilung an die Gläubiger eine gesetzliche Gebühr von insgesamt 9 % als Kostenbeitrag für die Feststellung und Verwertung der Gegenstände. Dadurch wird der Verwertungserlös entsprechend reduziert. Dies gilt in der Praxis auch für die Verwertung von Grundpfandrechten (da eine freihändige Veräußerung der Immobilie durch den Insolvenzverwalter in der Regel größere Erlöse als die vom Gericht angeordnete Zwangsversteigerung erbringt), bei denen der Insolvenzverwalter eine Verwertungsgebühr für die Insolvenzmasse verlangt, die in der Regel in einer Größenordnung von 3 % bis 5,5 % vom Nettoverwertungswert abgezogen wird. Ein schmerzhafter Einschnitt für die Finanzierer, wie aktuell im Fall des insolventen Signa-Vorzeigeprojekts Elbtower in Hamburg zu beobachten ist.
Das Volumen der gewerblichen Immobilien-NPLs wird in Deutschland weiter steigen und die Wahrscheinlichkeit einer Verkaufswelle der aufgelaufenen NPLs ist hoch, sollte sich die Wirtschaftslage weiter verschlechtern. Dies eröffnet Chancen für First-Mover-Investoren, die jedoch in der Lage sein müssen, sich in den anspruchsvollen und sich ständig ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen des deutschen NPL-Marktes zurechtzufinden.
_________________________________________________________________________________________
Zusammenfassung:
Der Artikel beleuchtet die Herausforderungen und regulatorischen Stolpersteine im deutschen Markt für notleidende Kredite (NPLs), insbesondere im Hinblick auf Loan-to-Own-Strategien. Obwohl die Definition von NPLs unterschiedlich ausgelegt wird, basiert sie auf einem Zahlungsverzug von mehr als 90 Tagen. Das NPL-Volumen deutscher Kreditinstitute steigt aufgrund wirtschaftlicher Stagnation, höherer Finanzierungskosten und zunehmender Insolvenzen, insbesondere im Mittelstand und im Industrie- und Immobiliensektor.
Das Kreditzweitmarktförderungsgesetz (2023) hat zusätzliche Meldepflichten, Lizenzanforderungen und Regelungen für Kreditdienstleister eingeführt, die die Abwicklung von NPLs erschweren. Investoren, die über die Verwertung von Pfandrechten Kontrolle über insolventen Kreditnehmer bzw. seiner Tochtergesellschaften erlangen wollen, riskieren, die entsprechenden Schuldner in die Insolvenz zu treiben, was die Durchsetzung solcher Pfandrechte erschwert. Auch die deutsche Insolvenzordnung, die den Insolvenzverwaltern weitreichende Verwertungsrechte und Gebühren einräumt, mindert die Rückflüsse an die Gläubiger.
First-Mover-Investoren könnten von der möglichen NPL-Verkaufswelle profitieren, benötigen jedoch fundierte Kenntnisse der rechtlichen Rahmenbedingungen, um alle damit zusammenhängenden Risiken und Hürden zu meistern.
Autoren: Andrey Latyshev und Mike Danielewsky, BCLP