Der Zug der Nachhaltigkeitsregulierung rollt weiter voran

Im Jahr 2023 nimmt der europäische Regulierungszug im Bereich ESG (Environment, Social and Governance) weiter Fahrt auf. Die bestehende Architektur mit ihren Eckpfeilern EU-Taxonomie, Offenlegungs-Verordnung (Sustainability Financial Disclosure Regulation, SFDR) und Corporate Responsibility Directive (CSRD) nebst Annex- und Komplementärrechtsakten wird weiter ausgebaut, während sich am Horizont u. a. mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD oder CS3D) Umrisse von Erweiterungen in den Bereichen Soziales und Governance abzeichnen. Auch der Transformations- und Implementierungsprozess ist in vollem Gange und fordert nicht nur Branche und Investoren, sondern auch den Regulator selbst.
24. März 2023
Foto: © Bernd Meiseberg – stock.adobe.com

Im Jahr 2023 nimmt der europäische Regulierungszug im Bereich ESG (Environment, Social and Governance) weiter Fahrt auf. Die bestehende Architektur mit ihren Eckpfeilern EU-Taxonomie, Offenlegungs-Verordnung (Sustainability Financial Disclosure Regulation, SFDR) und Corporate Responsibility Directive (CSRD) nebst Annex- und Komplementärrechtsakten wird weiter ausgebaut, während sich am Horizont u. a. mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD oder CS3D) Umrisse von Erweiterungen in den Bereichen Soziales und Governance abzeichnen. Auch der Transformations- und Implementierungsprozess ist in vollem Gange und fordert nicht nur Branche und Investoren, sondern auch den Regulator selbst.

Bei der Verwirklichung der Ziele des im März 2018 veröffentlichten Action Plan on Sustainable Finance der EU-Kommission fokussierte sich der gesetzgeberische Wille zunächst auf das „E“ in ESG, also die Umwelt (Environment). Das Flaggschiff des Regulierungsrahmens, die EU-Taxonomie, legt sechs Umweltziele fest (Klimaschutz, Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme) und enthält Kriterien, anhand derer Wirtschaftstätigkeiten als nachhaltig eingestuft werden können und sollen. Zunächst wurde sich jedoch dabei auf die Themen Klimaschutz und Klimawandel beschränkt („Klimataxonomie“1). Zu den verbleibenden vier Umweltzielen legte das europäische Expertengremium EU Platform on Sustainable Finance Ende März 2022 einen Vorschlag zu technischen Screeningkriterien vor; einen Entwurf der Kommission zur Inkorporation dieser Kriterien wird schon länger erwartet und wird voraussichtlich 2023 erscheinen. Ohne den Erlass der technischen Screeningkriterien kann eine Bewertung im Hinblick auf das Erreichen eines Umweltziels nicht erfolgen. Bevor die Kriterien erlassen werden, laufen die vier übrigen Umweltziele praktisch leer.

Regulierungszug fährt unvermindert weiter

Daneben ist seit dem 1. Januar 2023 der Complementary Climate Delegated Act anwendbar. Der delegierte Rechtsakt zur Taxonomie legt fest, dass auch Investitionen in Gas- und Nuklearenergie – wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen – nachhaltige Investments im Sinne der Taxonomie sind.

Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit schafft auch die Offenlegungs-Verordnung. Finanzmarktteilnehmer werden darin verpflichtet, im Rahmen des Vertriebs von Anlageprodukten umfangreiche Angaben dazu zu machen, inwieweit sie Nachhaltigkeitsfaktoren in ihren Investmentprozessen berücksichtigen und welche wesentlichen nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren die Anlageprodukte mit sich bringen. Die Offenlegungspflichten werden durch technische Regulierungsstandards konkretisiert. Sie enthalten etwa Indikatoren, an denen die Nachhaltigkeit eines Anlageprodukts zu bemessen ist. Die Anwendbarkeit der Offenlegungspflichten erfolgte stufenweise, mit dem 1. Januar 2023 wurde die letzte Stufe erreicht. Seitdem sind Level II-Vorgaben verbindlich. Viele Fragen bei der Erfüllung der Pflichten, zum Beispiel bei der Auslegung von Begriffen wie „nachhaltige Investition“ bleiben jedoch offen, sind sie doch branchenweit nicht einheitlich definiert. Hier werden Klarstellungen durch die Aufsichtsbehörden in Form von Q&As und Leitlinien erwartet, welche im Frühjahr erscheinen sollen. Über die MiFID-Richtlinie sind zudem beim Vertrieb von Finanzprodukten – auch im institutionellen Bereich – Nachhaltigkeitspräferenzen abzufragen; hier werden gerade erste Erfahrungen gesammelt. Gleichzeitig müssen sich Finanzunternehmen zum Stichtag 30. Juni 2023 auf das erste sog. PAI-Report (principal adverse impact) einstellen.

Warten auf Umsetzung in nationales Recht

Die Berichtspflichten betreffen natürlich nicht nur die Finanzbranche, sondern durch die Corporate Responsibility Directive auch alle größeren – realwirtschaftlichen – Unternehmen ab 500 Mitarbeitern. Die Richtlinie soll die Non Financial Reporting Directive (NFRD) ablösen. Der Anwendungsbereich wird dabei erheblich ausgedehnt: Während die NFRD 12.000 Unternehmen in der Union erfasste, wird bei der CSRD mit etwa 50.000 betroffenen Unternehmen gerechnet. 2 Die Richtlinie ist am 5. Januar 2023 in Kraft getreten, die europäischen Eckpflöcke sind damit eingerammt. Jetzt ist auf die Umsetzung in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten zu warten. Viel Zeit bleibt dabei nicht, schließlich sollen die Berichtspflichten ab dem 1. Januar 2025 für das Geschäftsjahr 2024 gelten. Die Umsetzungsfrist wird durch die CSRD auf 18 Monate terminiert. Eine überschießende Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber bleibt damit möglich, wäre aber, ob der zahlreichen europäischen Neuerungen, überraschend.

Eine effiziente Erfüllung der Berichtspflichten, nicht zuletzt, um die Adressaten vor einem Umsetzungskollaps zu bewahren, soll dabei durch die Einführung von Berichtsstandards erfüllt werden. Am 23. November 2022 veröffentlichte die Europäische Beratungsgruppe zur Rechnungslegung (EFRAG) ihren ersten Entwurf nachhaltigkeitsbezogener Berichterstattungsstandards (ESRS), mittels der die Berichtspflichten zu erfüllen sind. Als Konsequenz anfänglicher Ängste um ein Übermaß an unvereinbaren Vorschlägen ist aktuell eine Harmonisierungswelle im Bereich Standards zu beobachten. So wurden die ESRS an die Struktur der privatwirtschaftlichen Standards des International Sustainability Standards Boards (ISSB) angepasst, wobei letztere sich jetzt analog der ESRS dem Prinzip der doppelten Materialität zugewendet haben, also sowohl Nachhaltigkeitsrisiken für das Anlageprodukt als auch die Auswirkungen des Anlageprodukts auf die Umwelt umfasst.

Weiter auf Seite 2

Pages: 12

SOCIAL MEDIA

RECHTLICHES

AGB
DATENSCHUTZ
IMPRESSUM
© wirkungswerk
ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Anmeldung zum Newsletter