Frankreich und Europa hatten ihre Wahl und machen so ähnlich weiter wie bisher – ähnlich, und doch anders. Ob man sich in einer angeschlagenen EU positionieren soll, diskutiert Axel Cabrol, Co-CIO von Tobam aus Paris.
Regionale Ungleichheit, gescheiterte Governance und eine alternde Bevölkerung, gepaart mit wirtschaftlichen und militärischen Herausforderungen, bremsen strukturell das europäische Wachstum aus und werden mittelfristig erhebliche Auswirkungen auf hiesige Renditen haben. Die Dringlichkeit tiefgreifender Veränderungen nimmt weiter zu. Hier ist die Politik in der Verantwortung.
An politischer Intensität mangelt es im Jahr 2024 nicht. Über 4 Milliarden Menschen sind aufgerufen, neue Regierungen zu wählen. Bislang zeigen die globalen Märkte nach der ersten Jahreshälfte und einigen bedeutenden Wahlergebnissen wenig Sensibilität gegenüber diesen Ereignissen. Was können Anleger nach dem ersten Halbjahr daraus mitnehmen?
Schauen wir uns ein paar Ereignisse aus großen Volkswirtschaften an:
- Indien: Trotz der Bedenken, dass Modis Führung die demokratischen Institutionen bedroht, reagierten die Investoren kaum auf den tatsächlich eingeschränkten Medienpluralismus.
- Vereinigtes Königreich: Eine historische Niederlage für die Tories wurde sowohl von den Anleihen- als auch von den Aktienmärkten als positiv bewertet. Das steht in starkem Kontrast zu den Marktreaktionen auf den Regierungsantritt von Liz Truss im Jahr 2022.
- Vereinigte Staaten: Nach dem Attentatsversuch auf Donald Trump passten sich die Märkte an die möglichen Auswirkungen einer weiteren Trump-Präsidentschaft an. Sie konzentrieren sich auf politische Veränderungen, die den Handel bis zur nationalen Sicherheit betreffen dürften.
Die Anleger scheinen auf die Widerstandsfähigkeit politischer Institutionen zu vertrauen.
Tatsächlich gibt es eine folgenreiche Ausnahme: Frankreich, Kernland der Eurozone. Die Situation nach der Wahl ist symptomatisch für die gesamte EU.
Weckruf aus Frankreich
Präsident Macron überraschte die Märkte nach einer klaren Niederlage seiner Partei bei den Wahlen zum Europäischen Parlament mit vorgezogenen Neuwahlen. Der populistischen Partei Rassemblement National (RN) reichte es zwar nicht zu einer Mehrheit der Abgeordneten, aber sie erhielt die Mehrheit der Gesamtstimmen. Dies brachte der Grande Nation eine Patt-Situation zwischen Parlament und Regierung mit der Folge politischer Dramen und einer Regierungskrise ein.
Abgesehen von der politischen Folklore und Macrons scheinbar unerwarteter Entscheidung, kann das Ergebnis nicht wirklich überraschen. Europa befindet sich seit Jahren auf einem gefährlichen Weg der schlechten Regierungsführung und wirtschaftlichen Unterperformance. Das Ringen in Frankreich, einem Kernland der Eurozone, galt vor der Wahl schon als eine Frage des ‚Wann‘ anstelle des ‚Ob‘.
Euro-Zone international abgehängt
Der Euro-Raum wurde Anfang der 1990er Jahre durch den Vertrag von Maastricht begründet. Unsere gemeinsame Währung wurde 1999 mit großen Ambitionen ins Leben gerufen. Doch 25 Jahre später liegt die wirtschaftliche Leistung der Eurozone im internationalen Vergleich deutlich zurück. Während sich die volkswirtschaftliche Pro-Kopf-Leistung in den USA auf 80.000 Dollar verdoppelt hat, hängt die Eurozone diesem Erfolg hinterher. Der Vergleichswert von nur 52.000 Dollar für EU-Bürger entspricht gerade einmal zwei Drittel des US-BIP. Vor 20 Jahren waren es noch vier Fünftel der US-Leistung.
Das politische Risiko der letzten 25 Jahre in der EU resultiert aus dem Erhalt der wirtschaftlichen Divergenzen und einer Ablehnung von Disziplin. Schuldenprobleme bleiben ungelöst, eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung ist schwer zu erreichen, und trotz umfangreicher Regulierung hat Europa in der IT- und KI-Revolution den Anschluss verpasst. Es ist selten, dass europäische Aktien mehr als sechs Monate in Folge besser abschneiden als ihre amerikanischen Pendants. 2024 ist da keine Ausnahme. Spätestens die politische Krise in Frankreich hat die Aufholjagd an der Börse aus dem ersten Quartal beendet.
Bremsklötze des Wachstums
Trotz neuer Werkzeuge zur Bewältigung von Staatsschuldenkrisen und neuen Bankregeln konnte die EU langfristig keine gemeinsamen Haushaltsregeln durchsetzen. Chronische Probleme bei der öffentlichen Finanzierung bedeuten entweder anhaltend hohe Inflation, oder führen in die finanzielle Repression, so dass Ersparnisse in Anlagen mit geringer Rendite (Staatsanleihen) gedrängt werden.
Da die Inflation etwas nachlässt, dürften die Zinssätze kurzfristig wieder sinken, was die Performance von Anleihen begünstigen kann. Auch können die strukturellen Schwächen der öffentlichen Finanzen die politische Kreativität beflügeln. Angesichts der strukturellen Schwächen in der Eurozone ist es derzeit trotzdem sinnvoller, sich nach globalen Alternativen umzusehen.
Wie unsere Analysen zeigen, ist es möglich, in globale Aktien zu investieren und gleichzeitig die Auswirkungen des geopolitischen Risikos auf ein Portfolio zu begrenzen. Dies ermöglicht eine internationale Diversifikation, ohne unter den tektonischen Veränderungen in der globalen politischen Landschaft zu leiden. Als europäischen Anleger sollte man erkennen, dass es zum ersten Mal seit langer Zeit einfacher ist, das politische Risiko zu verringern, indem man außerhalb seines Heimatlandes investiert.
Demokratie und Freihandel als Treiber der Wertschöpfung sorgen in vielen anderen Ländern für bessere Renditen, als in einem Europa, das unfähig scheint, seine Probleme nachhaltig in den Griff zu bekommen.