Der Berg kreiste und gebar ein Hilfspaket

Wenn es noch eines Beweises dafür bedurfte, dass Europa Handlungsschnelligkeit komplett abgeht, dann wurde dieser vom EU-Gipfel in der letzten Woche erbracht. Wieder einmal sorgte das grundsätzlich notwendige aber zumeist lästige Einstimmigkeitsprinzip, das eben auch bei Finanz- bzw. Haushaltsfragen in der EU gilt, für zähe Verhandlungen um den EU-Wiederaufbaufonds sowie den EU-Haushalt für die kommenden Jahre.
21. Juli 2020
Felix Herrmann / © BlackRock

Wenn es noch eines Beweises dafür bedurfte, dass Europa Handlungsschnelligkeit komplett abgeht, dann wurde dieser vom EU-Gipfel in der letzten Woche erbracht. Wieder einmal sorgte das grundsätzlich notwendige aber zumeist lästige Einstimmigkeitsprinzip, das eben auch bei Finanz- bzw. Haushaltsfragen in der EU gilt, für zähe Verhandlungen um den EU-Wiederaufbaufonds sowie den EU-Haushalt für die kommenden Jahre.

Obwohl sich die Mitgliedsstaaten in den mehrtägigen Verhandlungen annähern konnten, bleibt ein äußerst fader Beigeschmack von den Verhandlungen zurück, denn in Europa scheint die Kleinkrämerei zu regieren. Statt sich rasch auf dringend benötigte Hilfen zu einigen, die auch noch von allen nationalen Parlamenten durchgewunken werden müssen, bevor sie überhaupt fließen können, erlebt man ein Feilschen um Rabatte und führt unsägliche Diskussionen darüber, ob Zahlungen aus dem EU-Haushalt an rechtstaatliche Prinzipien geknüpft werden sollen. Für Anleger in Europa und vor allem solche außerhalb Europas ist das kein Zustand, der die Zuversicht in unseren Kontinent stärkt.

Während man in Europa mit den Gedanken bereits beim Wiederaufbau nach der Krise ist, bestimmen in den USA immer neue Höchststände bei den Corona-Neuinfektionszahlen die Berichterstattung, die ganz nebenbei eine durchaus bemerkenswerte Veränderung der Statik des US-Wahlkampfs nach sich zu ziehen scheinen. Vertraut man nämlich aktuellen Umfragen, so könnten Joe Biden und die US-Demokraten mit Texas den zweitwichtigsten Staat im Wahlsystem der USA nach Kalifornien zurückerobern. Dort wütet das Coronavirus gerade ganz besonders, weshalb gleich mehrere Umfragen Biden im Rennen um das Weiße Haus vor Trump sehen. Das ist insofern bemerkenswert als das Texas traditionell zu den Staaten zählt, in denen sich die Demokraten zumeist strecken konnten wie sie wollten – am Ende siegten fast immer die Republikaner. Seit 1980 ging der „Lone Star State“ immer an die republikanische Partei. Als vor zwei Jahren sogar der republikanische Senator Ted Cruz, der selbst in seiner eigenen Partei kaum Unterstützer hatte, in den Mid-Term-Wahlen, wo die Demokraten das Momentum klar auf ihrer Seite hatten, gegen den jungen, frischen und wie für die sozialen Medien gemachten Beto O’Rourke gewann, dürfte wohl selbst der letzte Demokrat die Hoffnungen auf einen Wahlsieg in Texas im Jahr 2020 begraben haben. Die Corona-Krise rüttelt nun jedoch ganz gewaltig an vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten im Rahmen von US-Wahlen. Sollte Biden in Texas die 38 Wahlmännerstimmen holen, wäre ihm der landesweite Wahlsieg kaum noch zu nehmen, da er sich dann in anderen umkämpfen Staaten eine Niederlage erlauben könnte. Biden müsste wohl allerdings erhebliche Ressourcen auf Texas verwenden, um dort wirklich eine Chance zu haben. Hillary Clinton traf vor vier Jahren eine strategische Entscheidung und fokussierte sich auf Texas, ließ dabei jedoch andere „Swing States“ etwas aus den Augen. Sie verlor Texas mit neun Prozentpunkten Abstand und am Ende die Wahl. Biden wird sich also zweimal überlegen, wie er seine begrenzten finanziellen und zeitlichen Mittel in der heißen Phase des Wahlkampfes verteilt.

Was das für Anleger bedeutet

Der Wahlkampf in den USA und zähe Verhandlungen über Corona-Hilfen in Europa. Keine Frage: Zu Beginn der zweiten Jahreshälfte steht einmal mehr die Politik im Zentrum der Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer. Während eine Einigung der EU-Staaten auf das 750 Milliarden Euro umfassende Hilfspaket von den Investoren eingepreist gewesen sein dürfte, ist dies ein Wahlsieg der Demokraten bei den Wahlen im November eher nicht – erst recht kein „Democratic Sweep“, also ein Wahlsieg der Demokraten im Rennen ums Weiße Haus, das Repräsentantenhaus und den Senat. Je stärker sich eine deutliche Niederlage Trumps abzeichnet, desto stärker könnte die Unruhe an den Märkten wachsen, da vor allem die Sorge vor Steuererhöhungen für Unternehmen durch eine Biden- Administration die Kurse von Aktien belasten dürfte. Apropos US-Politik: In dieser Woche beginnt im US-Senat eine Debatte über weitere Corona-Hilfen. Der CARES-Act, der als Antwort auf die Corona-Krise ins Leben gerufen wurde und in dessen Rahmen unter anderem Arbeitslose 600 US-Dollar pro Woche an Hilfen bekommen, läuft zum Monatsende aus. Demokraten und Republikaner liegen über Kreuz hinsichtlich der Frage, in welcher Höhe und Form Anschlusshilfen folgen sollen. Letztlich könnte die Krise, die nach wie vor nicht unter Kontrolle ist, höhere Hilfen notwendig machen, was wiederum gute Nachrichten für Risikoaktiva wären. Bis eine Einigung erreicht ist, wird jedoch noch einiges an Wasser den Potomac River hinunterfließen.

Derweil hat die frisch angelaufene Berichtssaison für das zweite Quartal – obwohl sie als eine der schlechtesten aller Zeiten in die Geschichte eingehen dürfte – bislang weniger katastrophale Zahlen geliefert als befürchtet. Banken in den USA konnten etwa erwartete Verluste an der Kreditfront mit erheblichen Gewinnen im Wertpapierhandel ausgleichen. In dieser Woche nimmt die Berichtssaison Fahrt auf. Werden die – zugegebenermaßen niedrigen – Erwartungen weiterhin übertroffen, könnte das die eher schwerer verdaulichen Nachrichten von der politischen Front ein Stück weit kompensieren und Aktienkurse auf neue „Corona-Hochs“ treiben. (ah)

Foto: Felix Herrmann / © BlackRock

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