“Den Klimawandel gemeinschaftlich abwenden”

In der Klimapolitik besteht enormer Handlungsbedarf. Darüber besteht Konsens. Doch die Umsetzung gestaltet sich mitunter schwierig. Auch die Finanzindustrie ist in der Pflicht. Was es zu tun gilt, inwiefern "integrierte Klimamodelle" in der Portfoliokonstruktion anwendbar sind, dazu nahmen Oliver Schmidt, Deputy Chief Investment Officer, und Jan Rabe, Leiter Sustainable Investment Office, Metzler Asset Management GmbH, im exklusiven II-Interview Stellung.
15. September 2021
Oliver Schmidt (li.) u. Jan Rabe (re.) - Foto: © Metzler AM

II: Unternehmen beschreiten den Weg der „glaubwürdigen Transformation“ (CO2-Reduktion). Inwiefern können Sie die Unternehmen hierbei begleiten?
Schmidt: Unsere Erfahrung zeigt, dass der konstruktive und partnerschaftliche Dialog mit dem Management eines Unternehmens, in das wir im Auftrag unserer Kunden investieren, eher zu einem Umdenken in Sachen Klimawandel führt, als das öffentliche Anprangern von Missständen. Wir bezeichnen diesen Ansatz als „Silent Active Ownership“. Denn die meisten Unternehmen haben das Thema Nachhaltigkeit als Ganzes frühzeitig antizipiert – auch aus moralischen Gründen, vornehmlich allerdings zur Erschließung von Geschäftspotenzialen. Dementsprechend hat sich das Know-how beim Thema ESG bei den Konzernen in den letzten Jahren deutlich verbessert. Unternehmen ist es in den überwiegenden Fällen wichtig, wie sie aus Perspektive der Kapitalmärkte in Sachen Nachhaltigkeit oder Klimarisiken bewertet werden. Modelle zur Berechnung von Klimarisiken bedürfen vieler kontrovers zu diskutierender Annahmen. Hinzu kommt, dass die Ergebnisse führender Anbieter solcher Modelle voneinander abweichen und keineswegs zu einheitlichen Aussagen kommen. Der Dialog zwischen Unternehmen und Investoren hilft, um einerseits die Erwartungshaltung der Investoren und andererseits die Realisierbarkeit durch die Unternehmen realistisch einschätzen zu können. An erster Stelle steht daher im Dialog mit dem Management die Aufklärung darüber, wie sich entsprechende Risiken und Chancen auf die Ertragsfähigkeit des Unternehmens auswirken könnten. Eine Transformation ist dann als glaubwürdig einzustufen, wenn die Ergebnisse einer solchen Analyse in Handlungsalternativen überführt werden, die positiv zu ökologischen Zielen beitragen – beispielsweise denen der Vereinten Nationen –, und die das Potenzial haben, Kapitalrenditen zu stärken bzw. Kapitalkosten zu senken. Wichtig hierbei ist, dass gesetzte Ziele auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauen und im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen stehen.

II: Klimaneutralität im Wertpapierportfolio wird vielerorts beschworen. Doch ist es auch vergleichsweise einfach, das adäquat umzusetzen?
Rabe: Im Rahmen diskretionär gemanagter Anlagestrategien, deren Erfolg sich anhand von Rendite-Risiko-Vergleichen gegenüber breiten Marktindizes bemessen, ist ein differenzierter Ansatz erforderlich, um entsprechende Vorgaben ökonomisch sinnvoll umzusetzen. Im Vordergrund steht das Absenken des aggregierten Erderwärmungspotenzials eines Portfolios. Um Unternehmen auf Konformität gegenüber dem 1,5°-C-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen zu prüfen, werden deren Treibhausgasintensitäten (CO2-Äquivalente im Verhältnis zu den Umsätzen) mithilfe komplexer Klimamodelle in zukunftsgerichtete Erderwärmungspotenziale umgerechnet. Hierzu werden nationale Kohlenstoffbudgets Branchen zugeordnet und dann auf einzelne Unternehmen heruntergebrochen. Jedoch sollten Portfolios nicht zwangsläufig nach dieser Kennzahl optimiert werden.

II: Weshalb nicht?
Rabe: Viele Unternehmen, denen hohe Erderwärmungspotenziale attestiert werden, wie zum Beispiel aus den Branchen Energie, Versorger oder Industriegüter, sind oft auch diejenigen, die als Lösungsanbieter in Sachen Bekämpfung des Klimawandels gelten. Ist in diesen Fällen von einer erfolgreichen Transformation der Geschäftsmodelle auszugehen, würde man durch Ausschluss oder ein Untergewicht dieser Titel Chancenpotenzial unbeachtet lassen. Auch ginge ein Portfolio, das bereits heute 1,5°-C-konform ist, mit unzumutbaren Restriktionen einher. Lediglich 10 % der Unternehmen innerhalb eines liquiden, globalen Anlageuniversums weisen ein Erderwärmungspotenzial von 1,5° C oder kleiner aus. Und nur 20 % liegen unter 2° C. Das Erwirtschaften von Überschussrenditen würde so erratisch werden. Im Übrigen sind auch sogenannte „Paris-aligned“-Vergleichsindizes, die auf Vorgaben der EU-Kommission aufbauen, heute nicht als klimaneutral zu bewerten. Selbst deren aggregiertes Erderwärmungspotenzial liegt bei etwa 3° C.

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