Den (einen) Immobilienmarkt gibt es nicht

Immobilien-Investments liegen bei professionellen Anlegern im Trend. Doch greift es nicht zu kurz, das Immobiliensegment über einen Kamm zu scheren? Wo liegen die Chancen, welche Teilsegmente sind eher mit Risiken verbunden? INTELLIGENT INVESTORS sprach mit einem profunden Kenner der Szene, Michael F. Legnaro, Geschäftsführer der AGORA INVEST.
16. Dezember 2021
Michael F. Legnaro - Foto: © AGORA GROUP

Immobilien-Investments liegen bei professionellen Anlegern im Trend. Doch greift es nicht zu kurz, das Immobiliensegment über einen Kamm zu scheren? Wo liegen die Chancen, welche Teilsegmente sind eher mit Risiken verbunden? INTELLIGENT INVESTORS sprach mit einem profunden Kenner der Szene, Michael F. Legnaro, Geschäftsführer der AGORA INVEST.

INTELLIGENT INVESTORS: Mit Blick auf 2021 – wie fällt aus Ihrer Sicht die Rückschau auf das Immobiliensegment als Ganzes aus?
Michael F. Legnaro:
Rückblickend zeigte sich der deutsche Immobilienmarkt 2021 in unterschiedlichen Farben. Rot für den Einzelhandelssektor und die Hotels, die deutlich verloren haben und die größten Verlierer der coronabedingten Krise waren. Gelb für den Bürosektor, der unter der Home-Office-Regelung gelitten hat, aber andererseits verhältnismäßig glimpflich aus der Krise kam. Grün für die Segmente Wohnen und Logistik. Die Preise und die Nachfrage sind in diesen Segmenten durch eine weiterhin hohe Nachfrage deutlich angezogen. Insgesamt zeigte sich der deutsche Immobilienmarkt auch in dem Krisenjahr 2021 (coronabedingt) als sehr widerstandsfähig und hat seine defensive Stärke im Rahmen einer risiko- und renditeorientierten Portfoliostruktur unter Beweis gestellt. Gleichzeitig hat sich unsere Einschätzung bestätigt, dass es DEN Immobilienmarkt nicht gibt. Für Investoren und Marktteilnehmer nimmt die Bedeutung einer vorausschauenden Differenzierung und Schwerpunktsetzung in den einzelnen Sektoren des Gesamtmarktes weiterhin zu.

II: Insbesondere Wohnen und Logistik liegen weiter im Trend. Wie schätzen Sie die Entwicklungschancen beider Teilsegmente für 2022 ein?
Legnaro: Für unser präferiertes Segment Wohnen sprechen weiterhin zwei maßgebliche Gründe:

Einerseits die weiterhin hohe Nachfrage nach neuem Wohnraum bei einem gleichzeitig geringen Angebot. Über die letzten Jahre konnte die Neubautätigkeit die Lücke zwischen dem Anwachsen der privaten Haushalte und der Bevölkerungsentwicklung besonders in den Metropolen und der Ballungszentren nicht schließen. Diese Diskrepanz hat zu dem starken Anstieg der Mietpreise und der zum Teil verzweifelten Suche nach Wohnungen geführt. Andererseits sucht das liquide Vermögen der privaten Haushalte und der institutionellen Investoren nach einem geeigneten Investment und wird bei dem Asset Immobilien fündig. Gerade bei den privaten Haushalten führt der Negativzins in Verbindung mit der zunehmenden Inflation zu einem massiven Vermögensverlust. In Verbindung mit der geringen privaten Eigentumsquote bildet sich eine erhöhte Nachfrage. Dies – private und institutionelle Investitionen – sind die wesentlichen Gründe für den aktuellen Spread in der Entwicklung zwischen den Kaufpreisen und Mieten.

Zudem wird die Erkenntnis der Politik, dass nur neu geschaffener Wohnraum die Mietpreisdynamik bremsen kann, für zusätzliche Impulse sorgen. Der Plan der Regierung sieht den Bau von 400.00 Wohneinheiten vor. Inwieweit dafür die Genehmigungsverfahren und die Bauanforderungen angepasst werden ist noch offen. Auch die Frage nach geeignetem bzw. neu ausgewiesenem Baugrund bleibt unbeantwortet. Aber: Der Fokus der Entwicklung für 2022 wird somit auf Neubaumaßnahmen gerichtet werden, was natürlich unserer Positionierung entgegenkommt.

Logistikimmobilien werden ebenfalls 2022 im Trend liegen. Hierbei erwarten wir jedoch ein Anhalten der Preisdynamik und eine stärkere Fokussierung auf „stadtnahe“ Standorte, um auch die Nahversorgung dezentral abdecken zu können. Insgesamt wird der Trend für den zunehmenden Online-Handel, der auch immer mehr den Nahrungsbereich umfasst, für weiteres Wachstum sorgen.

II: Auch der Büroimmobilienmarkt hat sich bis dato im Zeichen der Pandemie gut geschlagen. Wie ordnen Sie Büroimmobilien ein? Sind Bürostandorte der 2. Reihe eher einen Blick wert?
Legnaro: Zugegeben – hier waren wir etwas überrascht. Wir haben mit einer stärkeren Belastung dieses Sektors gerechnet. Nachdem große Unternehmen früh von einer Neuausrichtung ihrer Bürolandschaft und von Überkapazitäten gesprochen hatten, haben wir einen größeren Einbruch bei Preisen und Mieten erwartet. Dieser ist bisher so nicht eingetreten. Die Nachfrage gerade nach energieeffizienter Bürofläche ist relativ stabil geblieben. Die zukünftige Entwicklung bleibt hierbei abzuwarten, ob Anpassungen ‑unter dem Stichwort Home-Office und Digitalisierung- in der Arbeitswelt nachhaltig sind. Jedoch würden wir hier nicht auf die zweite Reihe setzen, sondern dezidiert den unter „Klima- und ESG- gerechten“ Neubau in der ersten Reihe bevorzugen. Unternehmen, die immer mehr unter ESG-Konformität berichten und beurteilt werden, müssen auch für ihre Verwaltungssitze auf einen klimaschonenden Standort setzen.

II: Das Megathema Demografie ist überall präsent. Hier können Sozialimmobilien/Pflegeimmobilien ihre Vorteile ausspielen. Welche Kriterien sind dabei erfolgversprechend?
Legnaro: Erfolgversprechend sind immer Investments, die einem belegbaren Trend folgen. Der demografische Wandel und die entsprechenden Daten entspringen keiner Prognose, sondern sind eine Tatsache, denn die älter werdende Bevölkerung lebt bereits heute unter uns. Somit wird die Nachfrage nach entsprechendem Wohnraum und Angeboten in den nächsten Jahren massiv zunehmen und dies bei einem relativ geringen Bestand. Hierbei geht es nicht nur um das Angebot an stationären Pflegeheimen, sondern die Spanne reicht von altersgerechten Wohnungen, Mehrgenerationenhäusern, dezentralen, ambulanten Versorgungszentren bis hin zu speziellen Pflegeheimen bzw. Wohnkonzepten für altersspezifische Krankheiten wie zum Beispiel Demenz. Wiederum kann die Lücke nur über Neubauprojekte geschlossen werden, so dass diesem Bereich unsere erhöhte Aufmerksamkeit gelten wird. Die Projektstandorte werden sich ebenfalls ändern. Haben Investoren bisher in dem Immobilienmarkt eher die A‑Standorte gesucht, gibt es in diesem Sektor keine Präferenz für A‑Standorte. Die Lücke erstreckt sich über das gesamte Bundesgebiet und die Nachfrage ist gerade in Städten/Gemeinden abseits der Metropolen gleichwertig vorhanden.

II: Welchen Stellenwert hat das Thema ESG bei Immobilien-Investments?
Legnaro: Die Bedeutung wird 2022 nochmals deutlich zunehmen. Auf der einen Seite wird die neue Bundesregierung hier für eine weiter Beschlussfassung und neue Vorschriften sorgen. Die Marktteilnehmer warten dringend auf die entsprechenden Anpassungen in der Taxonomie, die auch für Klarheit sorgen werden, welche Immobilien bzw. welche Anlagestrategien als ESG-konform anzusehen sind.  Da der Immobilienbestand einen hohen Anteil an den Gesamtemissionen hat, kann das Gesamtziel – CO2-Neutralität – nur mit geeigneten Maßnahmen erreicht werde. Bei Neubauprojekten wird dies über Anpassungen der Genehmigungsverfahren – Stichwort Energieeffizienz, Umweltverträglichkeit,- umgesetzt. Der „Altbestand“ wird ebenfalls nach und nach neue Vorschriften bekommen. Auch bei diesem Thema hilft uns unsere Ausrichtung auf Neubauprojekte, die schon im Genehmigungsverfahren die entsprechenden Anforderungen erfüllen und nicht erst über sogenannte Revitalisierungsmaßnahmen im Zeitablauf erreichen.

Auf der anderen Seite wird dieses Thema auch bei den Investoren einen höheren Stellenwert bekommen. Die aufsichtsrechtlichen und gesetzlichen Anforderungen an institutionelle Investoren „zwingen“ die Unternehmen zu einer Neuausrichtung bzw. Anpassung ihrer Anlagerichtlinien. Die Berücksichtigung der ESG-Konformität bei ihren aktiven und passiven Investments wird zum Standard für Neuengagements werden. Selbst, wenn die Anforderungen noch nicht präzise formuliert sind, fließen die Inhalte bereits heute in die Prüfung der Produkte bzw. Investments ein. Dies betrifft dann auch die Asset-Klasse Immobilien. Anlagen in Immobilien müssen somit in Zukunft auch die ESG-Anforderungen erfüllen. Die Klassifizierung der Investments nach ART.8 oder 9 wird damit zur Herausforderung und über den Zeitablauf zum Standard erhoben.

II:Was dürfen Anleger von der AGORA Group in 2022 erwarten?
Legnaro: Wir konzentrieren uns weiterhin auf die beiden Teilsegment Wohnen und Sozialimmobilien und verfolgen mit unserer Anlagepolitik langfristig angelegte Trends, die für ein nachhaltiges Investments mit stabilen Erträgen sorgen. Dabei setzen wir wie in den Vorjahren auf eine klare Zuordnung unserer Investments und vermeiden eine Vermischung der Assets. Jeder Teilfonds folgt einer klaren Abgrenzung und ist damit für den Investor unterscheidbar. Als Ergebnis erwarten wir auch für das kommende Jahr eine stabile Ausschüttungsrendite von 6 Prozent. Die Voraussetzungen dafür haben wir in 2021 gelegt, in dem unser Teilfonds Residential eine BVI-Rendite von 8,11 Prozent erreicht hat.

Unsere frühzeitige Fokussierung auf Neubauprojekte in beiden Teilfonds wird sich auch im Jahr 2022 als richtig erweisen. Damit wir weiterhin kurzfristig auf Marktveränderungen reagieren können, bleibt es zudem bei der Devise, eine hohe Diversifikation in den Portfolien zu erreichen und eine marktgerechte Duration (Ziel 14–18 Monate) nicht zu überschreiten. Bei den Standorten bleiben neben den Metropolen (A‑Städte) auch die Randgebiete, die sich auch auf B‑Städte erweitern können, unsere präferierten Lagen. Die Home-Office-Regelungen, die in der Corona-Krise umgesetzt wurden, haben zu einer veränderten Nachfrage in Bezug auf Standorte und Wohnungsausstattung (qm², Raum-aufteilung und Ausstattung) geführt.

Daneben wird auch für uns als Anbieter zweier offener Spezialfonds die Beachtung der ESG-Kriterien und der entsprechenden Klassifizierung unumgänglich. Somit wird die Anpassung der Anlagerichtlinien an die entsprechenden Verordnungen für uns ein permanenter Prozess. Sind die aufsichtsrechtlichen Normen heute noch recht wage werden diese sicherlich in den nächsten Jahren nach und nach präziser werden und umfassen neben den heute im Vordergrund stehenden energetischen und Emissionsaspekten auch das „S“ in ESG, die gesellschaftlichen Herausforderungen. In beiden Punkten sehen wir uns sehr gut vorbereitet. (ah)

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