“Das konjunkturelle Absturzrisiko ist in Europa besonders hoch”

Inflation, wirtschaftlicher Abschwung, Rezession. Schlagwörter, die gegenwärtig omnipräsent sind und viele Investoren mitunter um den Schlaf bringen. Zeit für eine Bestandsaufnahme und Analyse. Die II-Chefredaktion sprach hierzu mit Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt Eyb & Wallwitz.
2. August 2022
Dr. Johannes Mayr - Foto: © Eyb & Wallwitz

Inflation, wirtschaftlicher Abschwung, Rezession. Schlagwörter, die gegenwärtig omnipräsent sind und viele Investoren mitunter um den Schlaf bringen. Zeit für eine Bestandsaufnahme und Analyse. Die II-Chefredaktion sprach hierzu mit Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt Eyb & Wallwitz.

II: Der Kampf gegen die hohe Inflation treibt alle Marktteilnehmer um. Die FED greift “hart durch” und  hat die Zinsen zum zweiten Mal in Folge um 0,75 Prozentpunkte angehoben. Wird das die bis dato starke US-Konjunktur abwürgen und in eine Rezession abgleiten? Teilen Sie diese Sorge, Herr Dr. Mayr?
Dr. Johannes Mayr:
Die FED zielt auf eine Dämpfung der Konjunktur, um die Nachfrage in Einklang mit dem begrenzten Angebot zu bringen. Sowohl am Güter- als auch am Arbeitsmarkt. So soll der Preisdruck verringert werden. Ein Abrutschen in eine Rezession ist bei geldpolitischen Bremsmanövern aber die Regel, ein soft landing eher die Ausnahme. Dies gilt aktuell in besonderem Maße. Denn ein erheblicher Teil der Inflation wird durch Angebotsfaktoren mit globalem Ursprung verursacht und wird nur sehr zögerlich auf eine Dämpfung der heimischen Nachfrage reagieren. FED und EZB werden die Leitzinsen wohl etwas über das „neutrale“ Niveau anheben, das bei etwa 3% (USA) bzw. 1,5% (Europa) liegen dürfte. Das Risiko einer Rezession ist deshalb hoch. Durch die Energiekrise gilt das für Europa in noch stärkerem Maße als für die USA.

II: Vor 10 Jahren hieß es sprachgewaltig „Whatever it takes“ im Euroraum. Wie beurteilen Sie die Zinspolitik der EZB?
Dr. Mayr:
Die EZB hat in den vergangenen Jahren einen enorm expansiven Kurs gefahren. Mit Negativzinsen und umfangreichen Anleihekaufprogrammen hat sie die Geldpolitik noch stärker gelockert als die FED. Neben der anhaltend niedrigen Inflation war das auch den Konstruktionsfehlern der Währungsunion und der fehlenden fiskalischen Integration der Mitgliedsstaaten geschuldet. Die EZB musste diese Lücken füllen und den Zusammenhalt des Euro-Raums sicherstellen. Nun zwingt die hohe Inflation auch die EZB zum Ausstieg. Dieser ist in Europa aber deutlich anspruchsvoller. Denn in der Praxis muss sich die EZB an den fiskalisch schwächsten Mitgliedsstaaten orientieren. Zudem sind die Angebotsprobleme in Europa derzeit besonders dominant. Die Inflation wird zu etwa 2/3 durch die hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise getrieben, auf die die EZB kaum Einfluss hat. Das konjunkturelle Absturzrisiko ist in Europa deshalb besonders hoch. Der Zinsgipfel dürfte deutlich niedriger liegen als in den USA.

II: Die EZB hat nunmehr ein flankierendes Kriseninstrument ins Leben gerufen. „TPI“, was für Transmission Protection Instrument steht. Was ist grundsätzlich und mit Blick auf Länder wie Italien davon zu halten?
Dr. Mayr:
Auf den ersten Blick ist fraglich, ob dieses Programm wirklich notwendig ist. Denn mit dem 2012 beschlossenen OMT-Programm steht den Mitgliedsstaaten ein vergleichbarer Rettungsschirm ohnehin bereits zur Verfügung. Die damit verbundenen Sparauflagen gelten heute aber als nicht mehr durchsetzbar. Vor diesem Hintergrund soll das „TPI“ zwei Dinge klar machen: Zum einen, dass die EZB die Inflationsbekämpfung entschlossen und glaubwürdig angehen kann. Zum anderen, dass sie die Fliehkräfte in der Straffungsphase im Blick hat. Unmittelbar ist es der EZB damit gelungen, den Anstieg der Risikoprämien zu begrenzen, ohne tatsächlich Mittel einzusetzen. Es wird sich aber zeigen, ob das so bleibt. Zumindest temporär wird der Markt die Entschlossenheit der EZB wohl testen. Das gilt insbesondere für Italien, wo die politische Lage zunehmend skeptisch bewertet wird. Aus ökonomischer Sicht ist eine Deckelung von Renditen und Risikoprämien stets problematisch. Denn die von der EZB ins Spiel gebrachten „fundamental gerechtfertigten Niveaus“ sind objektiv kaum zu bestimmen. Durch die Eingriffe wird der Marktmechanismus also erneut außer Kraft gesetzt und die ökonomischen Kosten und Haftungsrisiken auf die Geldpolitik übertragen.

II: Ihr Ausblick für die Euro-Wirtschaft bleibt angesichts der mannigfaltigen Herausforderungen eher düster. Was bedeutet das für Anleger? Wie sehen Sie die Börsen für die nächsten Monate?
Dr. Mayr:
Die Wirtschaft geht schweren Zeiten entgegen. Eine Rezession ist vor allem in Europa wahrscheinlich. Das ist für die Märkte mittlerweile das dominierende Thema. Denn während Inflations- und Zinsrisiken überwiegend eingepreist sind, steht dies für die konjunkturellen Risiken noch aus. Die Gewinnerwartungen vor allem von zyklischen Geschäftsmodellen dürften noch weiter unter Druck kommen. In diesem Umfeld sollten Anleger bis auf Weiteres vorsichtig bleiben und temporäre Erholungsbewegungen nicht überinterpretieren. Voraussetzungen für ein Ende der Abwärtskorrektur sind ein Erreichen des Inflationsgipfels und „Peak Hawkishness“, also der Zeitpunkt, ab dem die geldpolitischen Straffungen an Tempo verlieren. Das könnte im Herbst so weit sein. So düster das Umfeld derzeit aussieht. Der Zeitpunkt für eine Trendwende rückt näher. (ah)

SOCIAL MEDIA

RECHTLICHES

AGB
DATENSCHUTZ
IMPRESSUM
© wirkungswerk
ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Anmeldung zum Newsletter