Anleihenmarkt preist höhere Ausfallrisiken angemessen ein

Die Kursentwicklung von Unternehmensanleihen scheint sich von der Wirtschaftslage abgekoppelt zu haben – zumindest auf den ersten Blick. Zwar haben sich die Konjunkturdaten wieder etwas verbessert, doch in vielerlei Hinsicht ist die globale Wirtschaftstätigkeit immer noch weit von den Niveaus von 2019 entfernt. Mit dieser zwar besseren, aber weiterhin schwachen Wirtschaftslage passt scheinbar nicht so richtig zusammen, dass die Risikoaufschläge (Spreads) von Unternehmensanleihen zurückgegangen sind. Vor diesem Hintergrund wollen wir herausfinden, was die Kurse dieser Papiere derzeit widerspiegeln, und vergleichen diese Markterwartungen mit unseren eigenen Einschätzungen.
17. Dezember 2020
Detail of the burned bulb

Wenn wir von einer langfristigen durchschnittlichen Liquiditätsprämie von 3 % ausgehen, bleiben 3,46 % als Entschädigung für das Ausfallrisiko übrig. In Verbindung mit einigen einfachen Wiedereinbringungsannahmen³ bedeutet das, dass der Markt eine Ausfallquote von etwa 5,5 % einpreist. Angesichts unserer wesentlich höheren Ausfallerwartungen erscheint dies auf den ersten Blick besorgniserregend.

Eingepreiste Ausfallquote höher als zunächst ersichtlich

Kommen wir aber auf die Liquiditätsprämie zurück. Eine „durchschnittliche“ Liquiditätsprämie für Anleger anzunehmen, ist im aktuellen Marktumfeld wahrscheinlich nicht angemessen. Schon allein die Menge der von den Zentralbanken bereitgestellten Liquidität lässt diese Annahme fraglich erscheinen. Allein die US-Notenbank Fed verfügt über 485 Mrd. US-Dollar an frischem Eigenkapital vom US-Finanzministerium.⁴ Demnach hat die Fed grob geschätzt genug Feuerkraft, um Unternehmensanleihen im Wert von 4,9 Bio. US-Dollar zu erwerben – das entspricht in etwa der Hälfte des Gesamtwerts aller US-amerikanischen Investment-Grade-Anleihen, Hochzinsanleihen und Leveraged Loans. Bei diesem Liquiditätsvolumen können wir annehmen, dass die Liquiditätsprämie gesunken ist.

Wenn wir daher eine Liquiditätsprämie von zurzeit 1 % für Anleger in Hochzinsanleihen annehmen, bedeutet dies, dass der Markt in Wirklichkeit eine Ausfallquote von 8,7 % einpreist, etwas mehr als unsere Prognose. Insgesamt schließen wir daraus, dass der Markt sowohl eine erhöhte Ausfallquote als auch eine anhaltende Unterstützung durch die Fed im nächsten Jahr einpreist.

Wir teilen diese Einschätzung im Prinzip. Denn die Zentralbanken haben zwar dazu beigetragen, die Liquiditätsprobleme der Märkte in der ersten Jahreshälfte 2020 zu lösen. Sie können aber keine Solvenzprobleme beheben. Daher dürften das Herabstufungs- und das Ausfallrisiko erhöht bleiben, wenn die Volkswirtschaften nur langsam und ungleichmäßig wieder Fahrt aufnehmen.

Breitere Spread-Streuung eröffnet aktiven Managern Chancen

Aus Anlegersicht ebenfalls interessant ist, dass die Streuung der Risikoaufschläge angesichts der erhöhten wirtschaftlichen Unsicherheit zugenommen hat. So betrugen die Spreads innerhalb des Bloomberg Barclays Global Aggregate Corporate Investment Grade Index und des Bloomberg Barclays Global High Yield Index per 30. Juni im Durchschnitt 156 bzw. 646 Basispunkte (Bp.).⁵ Dabei machten diejenigen Anleihen, deren Spread maximal 100 Bp. vom Durchschnitt abweicht (Spanne zwischen 560 und 760 Bp.) weniger als 25 % des Hochzinsindex aus. Es wird daher schwieriger, eine „durchschnittliche“ Anleihe zu finden. Zudem veranschaulicht diese Spread-Verteilung die Differenzierung des Marktes auf Basis potenzieller Risiken, etwa des Herabstufungs- oder Ausfallrisikos.

Angesichts dieser Entwicklung ist die aktive Anleihenauswahl zur Minderung des Ausfallrisikos noch wichtiger geworden. Zudem bietet eine derart breite Spread-Verteilung, wie wir sie momentan vorfinden, aktive Manager Chancen. Denn sie ermöglicht die Konstruktion eines Portfolios, das günstigere Risiko- und Ertragseigenschaften aufweist als ein breiter Index.

 

Autor: Gene Tannuzzo
Stellvertretender globaler Leiter Fixed Income
Columbia Threadneedle Investments

¹ Karoui, Lotfi, Credit Notes: Fallen angels: Lower, but not low, 7. Juli 2020, Goldman Sachs
²Acciavatti, Peter, Default Monitor, 1. Juli 2020, JP Morgan
³Die angenommenen Wiedereinbringungsquoten ausgefallener Anleihen betragen 20 % im Energiesektor und 40 %
in den übrigen Sektoren. Der Energiesektor und die übrigen Sektoren werden mit 15 % bzw. 85 % gewichtet.
⁴Stand: Juni 2020
⁵Bloomberg, 30. Juni 2020

Foto: © siloto — stock.adobe.com

 

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