Im Januar wechselte Thorsten Winkelmann mit seinem Team von Allianz Global Investors zu AllianceBernstein. Kürzlich hat das Team mit dem AB European Growth Portfolio und dem AB Global Growth Portfolio seine ersten Fonds aufgelegt. Im Interview mit der II-Chefredaktion erklärt der Growth-Experte, warum Europa bei Wachstumsaktien besser ist als sein Ruf. Woran er das Zukunftspotenzial von Unternehmen erkennt – und was Teamethos mit erfolgreichem Portfolio-Management zu tun hat.
INTELLIGENT INVESTORS: Herr Winkelmann, Growth-Strategien waren auch schon bei AGI Ihre Spezialität. Anfang des Jahres haben Sie nun für AllianceBernstein zwei neue Wachstumsstrategien an den Markt gebracht. Wie definieren Sie Wachstum?
Thorsten Winkelmann: Als Team haben wir ein gemeinsames Verständnis, was Wachstum bedeutet. Kurz gesagt, wir suchen nach Unternehmen, die über den Konjunkturzyklus hinweg ein strukturelles Gewinn- und Cashflow-Wachstum über dem Marktdurchschnitt erzielen. Dafür schauen wir uns eine Kombination von qualitativen und quantitativen Faktoren an, die es Unternehmen ermöglichen, von einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu profitieren. Wir sind reine Wachstumsmanager. Das heißt, wir kaufen ein Unternehmen niemals allein, weil es aktuell positiv bewertet wird. Vielmehr bewerten wir das Wachstumspotenzial auf der Grundlage der langfristigen Ertragskraft.
II: Auf welche Faktoren achten Sie dabei genau?
Winkelmann: Wir suchen nach Unternehmen, die in der Lage sind, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und eben nicht nur von makroökonomischen Faktoren abhängig sind. Unternehmen mit anhaltend hohen Cashflows sollten ein starkes Ertragswachstum aufweisen, das durch strukturelles und nicht durch zyklisches Wachstum getrieben wird. Wir achten jedoch auch darauf, dass dieses Wachstum bei Unternehmen auch durch nachhaltige Wettbewerbsvorteile und hohe Eintrittsbarrieren unterstützt wird. Die Qualität von Unternehmen spiegeln sich eben häufig in der Kompetenz des Managements, dazu gehört auch die Kapitaldisziplin. Mit einem Blick auf diese Indikatoren, gelingt es uns in der Regel, Qualitätsunternehmen zu identifizieren, die das Potenzial haben, sich besser zu entwickeln als andere.
II: Welche Sektoren sind Ihrer Meinung nach für das Wachstum in den kommenden Jahren prädestiniert?
Winkelmann: Grundsätzlich nutzen wir bei der Asset-Allokation einen Bottom-up-Ansatz. Dabei gehen wir zunächst komplett frei von einzelnen Branchenschwerpunkten vor. Unser Ziel ist es, von Wertsteigerungen zu profitieren, die sich auf lange Sicht aus dem Besitz von Aktien strukturell wachsender, qualitativ hochwertiger Unternehmen ergibt. Aktuell finden wir viele Unternehmen, die sowohl ein sichtbares Wachstum als auch nachhaltige Wettbewerbsvorteile aufweisen, im Industriesektor. Im Bankensektor und der Rohstoffbranche ist es aktuell schwieriger, solche Unternehmen zu finden.
II: Mit dem AB European Growth Portfolio fokussieren Sie sich auf den europäischen Kontinent. Ist Europa tatsächlich so „wachstumsschwach“, wie oft behauptet wird?
Winkelmann: Tatsächlich wird Europa im Growth-Bereich oft den USA unterlegen betrachtet. Mit einem kohärenten Bottom-up-Prozess können Aktienanleger jedoch in ganz Europa qualitativ hochwertige Aktien finden, die von Unternehmen mit einem starken, durchaus unterschätzten langfristigen Wachstumspotenzial getragen werden.
II: Obwohl das Wirtschaftswachstum in Europa deutlich geringer ist als in den USA?
Winkelmann: Europa wird zwar sicherlich durch ein relativ gesehen langsameres BIP-Wachstum beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass der europäische Aktienmarkt im Vergleich zu den USA einen deutlich höheren Anteil an konjunktursensiblen Titeln beinhaltet. Dennoch glauben wir, dass Europa attraktive Wachstumsbereiche für Anleger bietet, die wissen, wo sie suchen müssen. So werden mehrere große europäische Branchen – darunter Industrie, Halbleiter und die Elektrobranche – den Konsensschätzungen zufolge bis 2026 ein robustes Gewinnwachstum erzielen. Diese werden sogar deutlich über den mageren BIP-Wachstumsprognosen der Region liegen.
II: Sie leiten von Frankfurt aus ein Team bestehend aus vier Portfoliomanagern. Winkelmann: Wie läuft die Zusammenarbeit?
Wir haben ein Teamethos, bei dem jedes Mitglied seine Meinung äußern und mitteilen kann. Jedes Mitglied unseres Teams hat die Freiheit, das gesamte Anlageuniversum zu erkunden. Wenn wir ein potenzielles neues Investment finden, führen wir oft lebhafte und herausfordernde Teamdebatten. Am Ende müssen wir zu einer einvernehmlichen Entscheidung kommen, ob wir die Anlage in unser Portfolio aufnehmen oder nicht. Unsere Teamgröße und unser gemeinsames Verständnis von Wachstum machen das möglich.
II: Wie würden Sie Ihre Anlagephilosophie beschreiben?
Winkelmann: Ich denke, was unsere Philosophie ausmacht, ist unsere eigentümerorientierte Denkweise. Wir versuchen in Qualitätsunternehmen zu investieren, und diese auch über längere Zeiträume zu halten. Erst durch diese langfristig angelegten Investitionen können wir den kompletten Hebel des Zinseszinseffekts ausnutzen. Wir suchen nach einer Kombination aus qualitativen und quantitativen Faktoren, die es den Unternehmen ermöglichen, von einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu profitieren, um den Aufzinsungseffekt von beständig hohen Cashflows und Gewinnen zu nutzen. Zudem sind wir überzeugt, dass Qualitätsfaktoren und integrierte ESG-Überlegungen zum Risikomanagement beitragen können. Dafür beurteilen wir den Wert auf der Grundlage der langfristigen Ertragskraft jedes einzelnen Unternehmens.
II: Stichwort ESG: Gibt es Branchen, die Sie bei Ihren Überlegungen ausschließen?
Winkelmann: Für uns ist selbstverständlich, dass wir weder in konventionelle noch umstrittene Waffen investieren. Zudem schließen wir Investitionen in Thermalkohle und Kohle sowie Cannabis und Private Gefängnisse aus.
II: Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit allgemein in Ihrem Anlageprozess?
Winkelmann: Als Treuhänder und Anlageberater stehen bei AB die Interessen unserer Kunden selbstverständlich an erster Stelle. Um das Risiko-Rendite-Profil unserer Portfolios zu verbessern, beziehen wir ESG-Analysen und Engagement konsequent in unseren Anlageprozess mit ein. Zudem steht unsere Definition von Qualität im Einklang mit ESG-Faktoren: So sind Umweltfaktoren eine Voraussetzung für die langfristige Betriebsgenehmigung von Unternehmen. Soziale Faktoren sind ein wichtiger Indikator für die Unternehmenskultur und die Fähigkeit des Unternehmens, auch über einen längeren Zeitraum seine Ziele zu erreichen. Und Governance ist ein wesentlicher Faktor für qualitativ hochwertige, strukturelle Wachstumsunternehmen. Unsere Fonds sind als Artikel 8‑Fonds der SFDR eingestuft.