„Aktiv anlegen mit passiven Produkten“

Die europäische ETF-Industrie schaut auf zwei erfolgreiche Jahrzehnte zurück.  Welche Entwicklungsschritte wegweisend waren und was das Segment derzeit bewegt, beantwortete Thomas Meyer zu Drewer, Leiter öffentlicher Vertrieb von ETFs bei Lyxor Deutschland, im INTELLIGENT INVESTORS-Interview.
12. Mai 2020
Lyxor. Thomas Meyer zu Drewer. Foto: Andreas Reeg, mail@andreasreeg.com, www.andreasreeg.com, phone +49 171 544 92 47.

Die europäische ETF-Industrie schaut auf zwei erfolgreiche Jahrzehnte zurück. Welche Entwicklungsschritte wegweisend waren und was das Segment derzeit bewegt, beantwortete Thomas Meyer zu Drewer, Leiter öffentlicher Vertrieb von ETFs bei Lyxor Deutschland, im INTELLIGENT INVESTORS-Interview.

 

INTELLIGENT INVESTORS: Herr Meyer zu Drewer, hierzulande schaut die ETF-Branche auf ihr 20-jähriges Jubiläum zurück. Was waren Ihrer Ansicht nach die wesentlichen Meilensteine dieser Geschichte?

Thomas Meyer zu Drewer: Im April 2000 wurden die ersten beiden börsengehandelten Indexfonds oder Exchange Traded Funds (kurz ETFs) in Europa gelistet. Zwanzig Jahre später und mehr als 1.600 allein auf XETRA gelistete ETFs weiter erreichte der europäische ETF-Markt kurz vor dem Markteinbruch infolge von Covid-19 ein Volumen von über 900 Milliarden Euro.

Waren es zu Beginn nahezu ausschließlich institutionelle Anleger, die sich näher mit den Vorzügen passiver Investments beschäftigten und sie zu schätzen wussten, rücken ETFs heute zunehmend auch bei Privatanlegern immer mehr in den Fokus. Deren Zahl dürfte in den kommenden Jahren exponentiell steigen, was sich gut an der Entwicklung der ETF-Sparpläne ablesen lässt: Im Juni 2019 überschritten Sparpläne erstmals den Meilenstein von einer Million.

Einen wesentlichen Beitrag zur wachsenden Beliebtheit von ETFs leistete das seit der Finanzkrise anhaltende Niedrigzinsumfeld, das bei einer langfristigen Anlage den Kostenfaktor in den Vordergrund rückte. Denn ein nicht aufgewendeter Euro ist ein Euro, der der langfristigen Entwicklung des Portfolios zugute kommt. Aber natürlich wäre eine Reduzierung auf den Kostenfaktor in Form der Verwaltungsvergütungen viel zu kurz gegriffen; hinzu kommen Ersparnisse auf der operativen Seite, die Transparenz und gerade auch in diesen Tagen die hohe Liquidität von ETFs. Oft ist es die Möglichkeit, schnell reagieren zu können, die Anleger an ETFs schätzen.

Von institutionellen Kunden mitunter immer noch wenig beachtet ist die hohe Konkurrenzfähigkeit von ETFs gegenüber Futures. Hier lohnt eine tiefere Betrachtung: Bei der Produktentwicklung begann die Erfolgsgeschichte mit ETFs auf die großen Indizes, wie den S&P 500, MSCI World oder den DAX. 2003 folgten ETFs auf Rentenindizes. Der nächste große Schritt waren Smart-Beta ETFs, also Konzepte, die von einer reinen Gewichtung nach Marktkapitalisierung abwichen. Heute sind es die Themen Nachhaltigkeit, Klimawandel und zukünftige Investmenttrends, die die weitere Entwicklung von ETFs treiben. Für Anleger ist aber nach wie vor eine der wichtigsten Feststellungen: Mit ETFs lassen sich nahezu alle Anlageklassen abdecken und eine vollumfängliche Asset Allokation preisgünstig und transparent umsetzen.

 

INTELLIGENT INVESTORS: Geht nach Ihrer Ansicht der Trend in Richtung passives Investieren weiter? Dies auch unter veränderten Rahmenbedingungen (Rezession, Börsenaufschwung erstmal vorbei, Corona)?

Meyer zu Drewer: Als in den siebziger Jahren das Thema passives Investieren aufkam, also regelbasiert und replizierbar meist einem Index zu folgen, war die Schwarz-Weiß-Frage über viele Jahre, ob man entweder rein passiv oder doch aktiv anlegen solle. Dies hat sich über die Jahre verändert. Heute ist die Aussage eher „Aktiv anlegen mit passiven Produkten“. Beide Anlagestile haben sich einander angenähert. Und das geht weit über die Kostenfrage, die oft im Vordergrund solcher Betrachtungen steht, hinaus. Denn weit häufiger ist die herausfordernde Frage, ob ein Anleger in einem bestimmten Bereich eine Expertise hat oder ob es sich lohnt, diese langwierig und manchmal auch mühsam aufzubauen oder vorzuhalten. Diese Fragestellung ist übrigens nicht nur auf Nischen-Themen beschränkt. Ein institutioneller Anleger, der überwiegend auf Anleihen-Investments festgelegt ist, kann die ihm erlaubte Aktienquote zum Beispiel sehr einfach und kostengünstig mit einem ETF auf den STOXX EUROPE 600 Index abdecken. Der Vorteil: breite Streuung und hohe Transparenz; von ersparten Handelskosten für einzelne Aktieninvestments und operativen Kosten bei der Ausführung gar nicht zu sprechen. Bleibt natürlich die Frage, welchen Einfluss die Marktbewegungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise auf das Thema aktiv und/oder passiv haben. Erstens ist es noch zu früh, um aus einer sehr kurzen Zeitspanne valide Schlüsse zu ziehen, und zum zweiten zeigen die Krisen der jüngsten Vergangenheit, dass bei allen Unkenrufen der passive Anlagestil geblieben, ja sogar gewachsen ist. Dies ist übrigens nicht die erste Krise, die ETFs „miterleben“. In den vergangenen Krisen haben sie ihre Feuertaufen bestanden. Unserer Überzeugung nach wird dies auch dieses Mal der Fall sein und die Symbiose von aktiv und passiv wird weiter voranschreiten.

 

INTELLIGENT INVESTORS: Es scheint so, dass immer mehr „Nischen-Themen“ Einzug in die ETF-Welt halten. Welchen Stellenwert kommt diesen Themen zu?

Meyer zu Drewer: ETFs zeichnen sich dadurch aus, dass Anleger mit ihnen viele Aufgabenstellungen, Herausforderungen und Anlagebedürfnisse abdecken können. Dies reicht von einer sehr breit definierten Aufstellung – die Klassiker sind hier zum Beispiel ETFs auf den MSCI World Index oder den MSCI Emerging Markets Index – bis hin zu speziellen Themen und eben auch Nischen. Gerade Nischen kommt eine große Bedeutung zu, denn hier erlauben es ETFs Anlegern, Lösungen zu finden, wo die eigene Spezialisierung oder die eigene Expertise nicht oder nicht ausreichend vorhanden ist oder es sich aus Kostengründen nicht lohnt, diese aufzubauen. Kostengesichtspunkte haben auch noch eine andere Perspektive: Nischen-Themen sind häufig nur Beimischungen, werden kurzfristig und mit einem Zeithorizont gehalten und unterliegen als Investments oft auch Markttrends. Allein deshalb ist der Aufbau einer eigenen Expertise meist nicht sinnvoll. ETFs sind daher hilfreiche Ergänzungen, weshalb das Angebot von Nischenthemen weiterwachsen wird.

 

INTELLIGENT INVESTORS: Wo registrieren Sie derzeit Zuflüsse bzw. wo erwarten im 2. Halbjahr einen aufsteigenden Trend?

Meyer zu Drewer: Eine zutreffende Momentaufnahme ist zurzeit sehr schwierig, da die Kapitalmärkte von großer Unsicherheit über die weitere weltweite wirtschaftliche Entwicklung und der Frage, wann die bestehenden Einschränkungen aufgrund von Covid-19 ein Ende finden, getrieben werden. Dennoch sehen wir drei Trends, die im weiteren Verlauf des Jahres und darüber hinaus an Bedeutung gewinnen dürften: Trotz vieler anderer drängender und herausfordernder aktueller Fragenstellungen ist und bleibt das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda von Anlegern. Ein guter Beweis dafür ist der neu geschaffene DAX 50 ESG Index als „grüneres“ Pendant zum bekannten Standard-DAX. Gleich danach kommt die Frage nach der Entwicklung von Inflation, was in den nächsten Monaten vor dem Hintergrund der konzertierten Aktionen von Zentralbanken weltweit immer mehr in den Vordergrund treten dürfte. Und dann ist natürlich Digitalisierung gerade auch vor dem aktuellen Hintergrund ein Thema, das Anleger noch stärker umtreiben sollte. Neben Robotics, das schon länger im Fokus steht, bieten auch die veränderte Mobilität und die Digitalisierung von Infrastruktur, auch bekannt unter dem Begriff Smart Cities, Chancen für Anleger.

 

INTELLIGENT INVESTORS: Wie sehen Sie die Zukunftsaussichten von Smart-Beta-ETFs?

Meyer zu Drewer: Ähnlich wie schon zuvor im Zusammenhang mit Nischen-Themen erwähnt, suchen Anleger mehr als nur die Möglichkeit, mit ETFs breit zu investieren. Und hier tun sich Smart-Beta ETFs hervor, die spezielle Anlagestrategien, wie zum Beispiel Faktorinvestments, oder Anlageziele wie das risikoreduzierte Investieren aufnehmen. Auch Dividendenstrategien, die es in einem vermutlich noch lange anhaltenden Niedrigzinsumfeld erlauben, Einkommensströme zu erzielen, zählen zu diesen Themen. Natürlich ist dabei zu beachten, dass Dividenden anders als ein Kupon bei festverzinslichen Wertpapieren schwanken können oder sogar auch ausgesetzt werden können, was derzeit verstärkt zu beobachten und den wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19 geschuldet ist. Dennoch glauben wir, dass das Thema Smart-Beta weiter wachsen wird, denn es ermöglicht es vielen Anlegern, spezifische Investmentziele und Themen über ETFs abzudecken. (ah)

Foto: Thomas Meyer zu Drewer / © Lyxor, mail@andreasreeg.com

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