Aktienmärkte: Quo vadis?

INTELLIGENT INVESTORS im Gespräch mit Dr. Tatjana Puhan, CIO bei Tobam. Wir sprechen über das krisenbehaftete Jahr 2022, die Aussichten und Strategien von Tobam. 
19. Oktober 2022
Dr. Tatjana Puhan - Foto: © Tobam

INTELLIGENT INVESTORS im Gespräch mit Dr. Tatjana Puhan, CIO bei Tobam. Wir sprechen über das krisenbehaftete Jahr 2022, die Aussichten und Strategien von Tobam. 

INTELLIGENT INVESTORS: Frau Dr. Puhan, wie schätzen Sie als CIO bei Tobam die Aussichten der Märkte ein. Kann 2022 noch zu einem guten Ende kommen?
Dr. Tatjana Puhan: In den ersten neun Monaten des Jahres wurde an den globalen Kapitalmärkten weitaus mehr Vermögen vernichtet als im Pandemie-Jahr 2020. Trotzdem sehe ich noch weiteres Abwärtspotenzial. Ein Rückgang bei Aktien von bis zu 10 % bis Jahresende und 20% mittelfristig ist durchaus drin. Insbesondere unterschätzen viele Aktienanleger immer noch die Kombination von Rezession bei gleichzeitiger Inflation und hoffen weiter auf den in vorherigen Krisen eingesetzten Fed-Put. Die Unternehmensgewinne können vor allem im kommenden Winter 2023 unter Druck geraten, sofern sich die geopolitische Lage nicht verbessert. Die US-Notenbank hat vor kurzem wieder ihre Priorität zur Inflationsbekämpfung betont. Entlastende Maßnahmen, die auch den Dollar schwächen würden, wird es daher in den USA nicht geben. Die Anleihemärkte bilden diesen Umstand meiner Meinung nach bereits gut ab.

II: Die EU-Kommission will mit den Mitgliedsstaaten über einen Mechanismus zur Begrenzung der Gaspreise verhandeln. In Deutschland sollen Maßnahmen im Wert von 200 Milliarden Euro den Unternehmen und Verbrauchern helfen. Wie sehen Sie die Effekte dieser und ähnlicher Unterstützungsmaßnahmen für die Wirtschaft?
Dr. Puhan: Die gesunkenen Gaspreise der vergangenen Wochen nach den Ankündigungen zu einer Deckelung verbesserten kurzfristig die Marktstimmung. Die notwendige Finanzierung von fiskalischen Entlastungsprogrammen verschärft dagegen langfristig die Probleme, ohne wirklich zu helfen. Man betreibt “kicking the can further down the road”, wie es im angelsächsischen Sprachgebrauch heißt. Mein Basisszenario ist immer noch eine “harte Landung”. Als Anleger sollten wir uns darauf einstellen. Aktuell brauchen die europäischen Unternehmen in dieser Energienotlage eine Angebotsverbesserung. Längerfristig werden die anhaltende Inflation, die Versorgungsengpässe, die physischen Risiken des Klimawandels und die extremen geopolitischen Spannungen dazu führen, dass sich die Industrie anpasst. Unternehmen, die ihren Verbrauch herunterfahren können, werden eine knappe Energieversorgung oder steigende Preise besser verkraften. Insofern bieten diese Risikofaktoren den Anlegern wiederum aussichtsreiche Chancen.

II: Manche Marktakteure rechnen im kommenden Jahr mit einem Rückgang der Inflation. Das könnte eine Trendwende an den Märkten einleiten. Was halten Sie davon?
Dr. Puhan: Der Kursrückgang bei Energiepreisen und Industrierohstoffen beruhigt vorerst die Gemüter, aber die enormen Preissteigerungen auf Erzeugerebene sind noch gar nicht in voller Höhe bei den Konsumenten angekommen. Der jüngste Economic Experts Survey erwartet für 2023 eine weltweite Inflationsrate in Höhe von 9,5 Prozent. Das wäre eine Steigerung gegenüber der letzten Dekade 2010 bis 2019 von fast 7 Prozent. Diese Dynamik lässt sich vielleicht etwas abschwächen, aber nicht einfach so umkehren.

Außerdem ist immer noch zu viel Geld im System. Wir beobachten aktuell, wie schwer es den Notenbanken außerhalb der USA fällt, etwas gegen die hohe Teuerung zu unternehmen. Die Fed profitiert derzeit vom starken Dollar, mit dem sie ihre Inflation in die Welt hinaus exportieren kann. Aber denken Sie nur einmal an die Schwierigkeiten der Bank of England Anfang Oktober oder die Auswirkungen für Südeuropa, wenn die EZB tatsächlich versucht, ihre Bilanz zu verkleinern.

Und schließlich noch eine Anmerkung zu all diesen staatlichen Hilfen, mit denen man versucht, die Energiepreise niedrig zu halten. Es ist den meisten klar, dass wir bald steigende Steuern sehen müssen, wenn wir die Stabilität der Eurozone nicht weiter gefährden wollen. Interventionistische Politik ist wirklich immer der Anfang von etwas, das einen nur in noch größere Schwierigkeiten bringt.

II: Sie deuteten an, dass in der Krise auch ein Potential steckt. Wie können Anleger mit der Gemengelage an den Kapitalmärkten umgehen?
Dr. Puhan: Anleger sollten sich zwei Dinge bewusst machen, die eine Fortschreibung der bisherigen Verhältnisse verhindern. Wir erleben einen tiefgreifenden Wandel sowohl politisch als auch ökonomisch. Darum können die letzten zehn oder zwanzig Jahre an den Kapitalmärkten keine Blaupause für die nächsten zehn Jahre sein. Und ein indexnahes Investment in „den Markt“ ist kein diversifizierter Portfoliobaustein für Aktienrenditen mehr.

Natürlich findet man auch jetzt attraktive Anlagemöglichkeiten, aber sicher nicht mehr so wie bisher über passive Anlagestrategien. Stattdessen wird die richtige Einordnung von Portfoliorisiken zukünftig noch wichtiger. Nehmen Sie die US-Börse. Allein die fünf größten Unternehmen machen ein Fünftel des S&P 500 aus.

Das ist noch extremer als während der TMT-Blase vor zwanzig Jahren. Und fast die Hälfte des Indexwertes entfällt auf die Branchen IT und Pharma. Vor allem für ETF-Anleger ließ es sich gut auf der Welle der Mega-Caps mitreiten. Die Bewertungsprämie dieser Unternehmen ist jedoch im Verhältnis zu ihren Gewinnen und im Verhältnis zum übrigen Markt trotz der Korrektur noch viel zu hoch und aus unserer Sicht nicht mehr gerechtfertigt.

II: Wenn Sie dem passiven Anlegen ein höheres Risiko bescheinigen als es den Investoren bewusst ist, sollte man sich dann eher auf aktive Strategien fokussieren?
Dr. Puhan: Aktive Ansätze spielen ihre Vorteile in den Umbruchsphasen der Märkte am besten aus, wenn sie gut gemanaged sind. Vereinzelt finden sich schon Titel mit einem attraktiven Chance-Risiko-Verhältnis. Aber die wichtigste Komponente für langfristigen Anlageerfolg ist aus meiner Sicht eine richtige Diversifikation und Konstruktion eines Portfolios, das sich effizient in die Vermögensstruktur des Anlegers einfügt. Dafür würde ich einen quantitativ gestützten Ansatz vorziehen. Man gewinnt damit viel tiefere Erkenntnisse über das Zusammenspiel der verschiedenen Risiko- bzw. Renditefaktoren in einem Anlageuniversum als mit einer subjektiven Analyse auf Basis individueller Erwartungen. Um ein maximal diversifiziertes Portfolio zu erhalten, braucht es keine hohe Anzahl von Titeln, sondern eine möglichst niedrige Korrelation der Risikofaktoren der Positionen untereinander. Mit diesem Ansatz kommen Anleger am besten durch eine Krise, deren Ursachen wir kennen, aber deren Dauer und Folgen wir derzeit schwer abschätzen können.

II: Was dürfen Investoren dabei von Tobam erwarten?
Dr. Puhan:
Viele Investoren glauben, gerade jetzt seien Prognosen besonders schwer zu treffen. Im Nachhinein ist es sogar immer schwer, verlässliche Renditeprognosen für Vermögensklassen abzugeben. Aus unserer Sicht ist die vernünftigste Lösung, beim Aufbau von Portfolios die Diversifizierung zu maximieren, um das langfristige Renditepotenzial einer Assetklasse zu heben. TOBAM richtet deshalb Kundenportfolios an der maximalen Diversification Ratio® aus. Wir bieten so eine Ergänzung zu den üblichen, nach Marktkapitalisierung gewichteten Anlagestrategien.

Als Co- CIO ist Dr. Tatjana Puhan für das Management aller Research- und Produktentwicklungsprojekte verantwortlich und gewährleistet die Konsistenz und Anwendung des patentierten TOBAM-Anlageprozesses. In ihrer Funktion ist sie Co-Leiterin für Research und Portfoliomanagement und leitet die Handelsteams in Paris und Dublin. Desweiteren ist sie als Adjunct Faculty Member am Chair of International Finance an der Universität Mannheim sowie als Research Fellow am Hamburg Financial Research Center tätig. Frau Dr. Puhan hat am Swiss Finance Institute an der Universität Zürich in Finance promoviert.

 

 

 

 

 

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