Aktien 2022: Schwierige Zeiten für Investoren „Wichtige Stützen könnten fallen“

Nach zwei Jahren Pandemie klingt es seltsam, wenn man ausgerechnet jetzt schwierigere Zeiten für Aktieninvestoren ausruft – und doch rechnen wir damit. Bei Neuberger Berman halten wir 2022 für ein Jahr der Wendepunkte. Wichtige technische und fundamentale Faktoren, die die Wirtschaft seit Jahren – wenn nicht Jahrzehnten – stützen, könnten bald wegfallen. Wenn die Finanzmärkte darauf reagieren, wird eine höhere Volatilität unvermeidbar sein.
14. Februar 2022
Joseph V. Amato - Foto: © Neuberger Berman

Nach zwei Jahren Pandemie klingt es seltsam, wenn man ausgerechnet jetzt schwierigere Zeiten für Aktieninvestoren ausruft – und doch rechnen wir damit. Bei Neuberger Berman halten wir 2022 für ein Jahr der Wendepunkte. Wichtige technische und fundamentale Faktoren, die die Wirtschaft seit Jahren – wenn nicht Jahrzehnten – stützen, könnten bald wegfallen. Wenn die Finanzmärkte darauf reagieren, wird eine höhere Volatilität unvermeidbar sein.

Einige große Veränderungen dürften 2022 zu einem unruhigen und schwierigen Aktienjahr machen. Das absehbare Ende der Pandemie gehört noch nicht einmal dazu: Die Inflation ist hier, um zu bleiben, die Notenbanken geraten unter Druck, Liquidität wird ein wichtiges Thema, der Energiemix sorgt für Unruhen und Chinas Kurswechsel bringt neue Dynamiken mit sich.

Preisschwankungen wie zuletzt in den 80ern

2022 dürfte sich bestätigen, dass dieser Inflationsschock dauerhafte Folgen für die Preisentwicklung hat. Wir rechnen damit, dass die Preise in diesem Konjunkturzyklus so stark steigen und schwanken werden wie seit den 1980ern nicht mehr.

Die coronabedingten Lieferengpässe könnten nachlassen, aber strukturelle Anpassungen, die Energiewende, Fachkräftemangel und andere Arbeitsmarktungleichgewichte dürften Löhne, Energiepreise und Wohnkosten langfristig stärker steigen lassen. Gleichzeitig haben die jüngsten US-Wirtschaftsdaten positiv überrascht. Das zeigt beispielsweise der jüngste Arbeitsmarktbericht aus den USA: Der Durchschnittslohn stieg im Januar um 5,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das ist der stärkste Anstieg seit Mitte 2020.

Notenbanken unter Druck

Nach dem jüngsten Inflationsanstieg ist der US-Leitzins real sogar noch niedriger als in den 1970ern. Die großen Notenbanken gerieten dadurch unter starken Druck: Fed-Vorsitzender Jerome Powell kündigte auf der ersten Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) in diesem Jahr eine Zinserhöhung im März an – noch im Oktober galt das fast als ausgeschlossen. Die Marktreaktion darauf fiel verhalten aus. Das zeigt, dass Aktieninvestoren sich bereits auf Zinserhöhungen im Jahr 2022 eingestellt haben.

Noch ist genügend Liquidität für den Kauf von Gütern, Dienstleistungen und auch Aktien vorhanden. Nach Analystenschätzungen haben die amerikanischen Verbraucher 2 bis 3 Billionen US-Dollar mehr gespart, als wenn es Corona nicht gegeben hätte. Auch die Aktienquoten institutioneller Investoren liegen den meisten Indikatoren zufolge noch immer unter den Höchstständen des letzten Marktzyklus.

Und doch bedeutet die Wende der Notenbanken, dass die Zinsen jetzt sehr viel schneller erhöht werden als bislang angenommen und auch die Liquidität sehr viel schneller zurückgefahren wird. Da außerdem die staatlichen Coronahilfen wegfallen, wird die Liquidität wesentlich knapper. Bei derart großen Veränderungen werden auch Fehlentscheidungen wahrscheinlicher. Vor allem besteht das Risiko, dass die Fed die Zinsen unerwartet schnell anhebt, um die Inflation zu bekämpfen. Das würde der Konjunktur sehr schaden.

Energiemix wirkt sich kurz- und langfristig aus

Verändern wird sich ab 2022 auch der weltweite Energiemix. 2020 und 2021 verabschiedeten immer mehr Länder und Unternehmen Netto-Null-Ziele. Nach der Glasgower Klimakonferenz im November und der Rückkehr der USA ins Pariser Klimaabkommen könnte jetzt die kritische Masse erreicht sein. Das gilt für Politik, Unternehmen und Investitionen gleichermaßen.

Wir haben bereits gesehen, wie die Energiewende die Preise treiben kann, wenn sich zugleich die Wirtschaft erholt, das Wachstum über dem Trend liegt und die Energienachfrage entsprechend steigt. Auch für die Notenbanken ist das nicht einfach: Einige von ihnen wollen mit makroprudenziellen Maßnahmen die langfristigen Risiken klassischer Energieinvestments für den Finanzsektor mindern. Als eine der ersten Notenbankerinnen hat Isabel Schnabel von der EZB Mitte Januar aber gewarnt, dass dies dem Preisstabilitätsziel entgegenstehen könnte.

Schon früher haben große energiepolitische Veränderungen die Rohstoffmärkte destabilisiert. Der Klimawandel ist ein sehr großes Langfristrisiko. Als Investoren müssen wir aber auch die kurzfristigen Auswirkungen der Klimaschutzmaßnahmen im Blick behalten.

China auf neuem Kurs

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt hat in den letzten 20 Jahren am meisten zum Weltwirtschaftswachstum beigetragen. Jetzt ist aber „Wohlstand für alle“ die neue Devise – weniger Wachstum, aber mehr Verteilungsgerechtigkeit. Diese Neuerung kann man gar nicht als schwerwiegend genug einschätzen.

Noch schwieriger wird 2022 dadurch, dass diese strukturellen Veränderungen dem kurzfristigen Ziel einer lockereren Geld- und Fiskalpolitik mit etwas mehr Wachstum widersprechen könnten. Während China im Dezember wieder auf eine pragmatischere Regulierungspolitik setzte und antizyklische Maßnahmen angeregte, stieg Mitte Januar die US-Inflation auf ein 40-Jahres-Hoch an. Diese gegenläufigen Tendenzen der beiden größten Volkswirtschaften der Welt bestärken uns darin, dass 2022 Volatilität bevorsteht.

Ein erster Vorgeschmack auf 2022

Inflation, Geld- und Fiskalpolitik, Liquidität, Energie, China: Hier sehen wir überall Wendepunkte, die Aktieninvestoren 2022 auf Trab halten könnten. Natürlich muss die Konjunktur deshalb nicht aus dem Tritt geraten. Die Unternehmensgewinne müssen nicht drastisch einbrechen, und es sind auch nicht deutlich mehr Zahlungsausfälle zu erwarten. Auch in der Vergangenheit ist die Wirtschaft trotz strafferer Geldpolitik weiter gewachsen.

Dennoch können solche Veränderungen für viel Volatilität sorgen. Meist führen sie zu höheren Risiken und mehr Unsicherheit. Unter dem Strich könnten Aktien in diesem Jahr zwar trotzdem zulegen. Wir glauben aber, dass das Auf und Ab in den ersten Wochen des Jahres ein Vorgeschmack auf das ist, was uns noch erwartet.

Gastbeitrag von Joseph V. Amato, Präsident und Chief Investment Officer – Equities bei Neuberger Berman

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